Sollen Graffiti-Sprayer hart bestraft werden? Im Stuttgarter Rathaus genießt derzeit der präventive Ansatz deutlich mehr Sympathien.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - "Sprayen ist Sachbeschädigung", sagt der Stuttgarter Polizeisprecher Jens Lauer. Pro Jahr zählen die Ordnungshüter in der Landeshauptstadt bis zu 3000 Anzeigen wegen Schmierereien, deren Beseitigung die Stadt im Jahr 2009 rund 250.000 Euro kostete.

 

Für den privaten Bereich liegen keine verlässlichen Schätzungen vor. Die Dunkelziffer ist so hoch wie die Quote der nie aufgeklärten Fälle. Sprayer müssen auf frischer Tat ertappt werden; man kann ihnen sonst allenfalls wegen ihrer Signatur ältere Taten nachweisen. Schmierereien sind für jede dritte Sachbeschädigung in Stuttgart verantwortlich. Mit der Verfolgung von Sprühern haben die Polizeireviere also einiges zu tun. Der Prävention widmet die Stuttgarter Polizei hingegen keine spezialisierten Beamten.

Auch im Stuttgarter Rathaus setzen manche Volksvertreter mehr auf harte Strafen denn auf Prävention - so wie der CDU-Stadtrat Philipp Hill, der sich im Jahr 2010 im Wiederholungsfall gar für Gefängnisstrafen aussprach. Im Rathaus genießt derzeit jedoch der präventive Ansatz deutlich mehr Sympathien. Auf Antrag der Grünen-Ratsfraktion schuf die Verwaltung Anfang des Jahres ein Regelwerk für legales Sprühen: Sofern bestimmte Sicherheitsvoraussetzungen erfüllt sind und es sich nach Einschätzung des Tiefbauamts nicht um ein "hochwertiges" Bauwerk handelt, dürfen große Wandflächen an städtischen Bauwerken auf Antrag besprüht werden - dauerhaft und ohne weitere Kontrolle.

Graffiti haben es in Museen geschafft

Legale Graffitiflächen weist die Stadt schon seit Jahren aus. Nach der Neugestaltung des Kleinen Schlossplatzes zog die "Hall of Fame" unter die Cannstatter König-Karl-Brücke. Dort ist Sprayen für jedermann ohne Anmeldung erlaubt. Unlängst wurden die besprühbaren Flächen gar um mehr als ein Viertel auf jetzt 900 Quadratmeter erweitert.

Die Stadt tut noch mehr: Seit Jahren initiiert das Tiefbauamt Sprühaktionen, bei denen etwa Fußgängerunterführungen "mit künstlerischen Ambitionen" gestaltet werden, wie OB Wolfgang Schuster lobte. Die erste Aktion in diesem Sinne organisierte das Theater Rampe, das 1992 zum ersten Sprayer-Wettbewerb Stuttgarts eingeladen hatte. Die jüngste ist in der Breuninger-Passage zu besichtigen.

Graffiti haben es inzwischen sogar in die Galerien und Museen geschafft: Die begehrtesten Werke, besonders jene aus den Anfängen der Straßenkultur, erzielen bei Auktionen Zehntausende Dollar. Die Sammlung Scharpff zeigte solche Werke im Frühjahr im Kunstmuseum. Zur Vernissage waren am Schlossplatz eigens zwei von der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft vermittelte Sprayer an der Leinwand aktiv.

Sprayer sind keine Ganoven

Gute Zeiten also für Anhänger des legalen Sprühens - Menschen wie Florian Schupp, der seit 2003 als Graffitibeauftragter der Jugendhausgesellschaft die Kontaktperson der städtischen Jugendarbeit in die Szene ist. Schupp sieht legales Sprayen als Gegenbewegung zur Kriminalisierung von Graffiti. Sprayer sind für ihn keine Ganoven, "sondern sie werden oft Künstler, Designer, Werbeleute". Oder betreiben, wie Schupp, eine Textildruckerei der Caritas in Feuerbach.

Stuttgart lässt seinen Sprayern Freiheiten. Allerdings tun sich Verwaltung und Straßenkünstler schwer, eine zweite Hall of Fame zu finden, die mit dem neuen Graffitiregelwerk angeregt werden soll. Auch unter den rund 400 Verkehrsbauwerken in städtischem Besitz fand sich laut Werner Pfisterer vom Tiefbauamt noch kein für Graffiti geeignetes - weder die Sprayer selbst noch die Verwaltung waren erfolgreich.

Eigentumsrechte müssen gewahrt werden

Sollte sich doch eine Alternative auftun, werde ein entsprechender Antrag "eingehend und wohlwollend" geprüft, sagt Pfisterer. Man werde sich mit dem zuständigen Bezirksbeirat und anderen Stellen absprechen: Soll etwa ein Schulgebäude besprüht werden, würde das Schulverwaltungsamt einbezogen.

Beim legalen Sprayen, wie etwa unter der König-Karl-Brücke, gilt stets die Abmachung, dass Sprayer sich auf die zum Besprühen frei gegebenen Flächen beschränken. Die Verwaltung weiß um das eigene Verständnis von Eigentumsrechten und Kunst im öffentlichen Raum, das in der Szene herrscht.

S- und U-Bahnen zu besprühen ist dort ebenso wenig ein Tabu wie die vom Rest der Bevölkerung mehrheitlich als Schmiererei angesehenen "Tags".

Graffiti werden häufig innerhalb von 24 Stunden übermalt

Graffiti, die Privatleute oder die Öffentlichkeit nicht bestellt haben, kosten die Sprayer Sympathien. Sie werden nicht als Kunst, sondern als Vandalismus gesehen. Dazu zählen beispielsweise die Sprüche und vulgären Bilder an der Cannstatter Brunnenanlage im Kurpark. Wird privates Wohneigentum besprüht, kann das den Wert der Immobilie vermindern.

Schmierereien, findet Edgar Hemmerich vom Förderverein Sicheres und sauberes Stuttgart, müssten so schnell wie möglich entfernt werden. Geschehe das nicht, würden Nachahmer angezogen. Fassadenmaler oder Dienstleister wie die an die Stuttgarter Anti-Graffiti-Initiative angeschlossene SBR übermalen beschmierte Flächen meist binnen 24 Stunden.

Für häufig besprühte Wände gibt es zudem Fassadenlacke, von denen man Schmierereien mit Wasserdampf abwäscht; Farben mit Lotuseffekt, auf denen Sprühfarbe nicht hält, sind nur noch eine Frage der Zeit.

Reizvoll sind vor allem illegale Graffiti

Sprayer und Jugendarbeiter gleichermaßen vermuten, dass das illegale Sprayen nie ganz verdrängt werden kann. Auch härtere Strafen würden daran nichts ändern, weil man "die künstlerischen Sprayer nicht mit den Schmierern in einen Topf werfen sollte", sagt Edgar Hemmerich von Sicheres und sauberes Stuttgart.

Die Polizei überzeugt diese Haltung jedoch nicht. Jens Lauer jedenfalls bezweifelt, dass legales Sprayen die Schmierereien zumindest reduziert. "Mit legalem Sprayen in der Hall of Fame erlangt man keinen Ruhm", ist der Polizeisprecher überzeugt: "Den Kick kriegt man nur bei illegalen Aktionen, und zwar zumeist nachts."