In den Jugendhäusern im Norden hat sich eine kreative HipHop-Szene entwickelt. Einige Tracks der Rapper aus dem Stuttgarter Norden sind auf dem letztjährigen Mixtape „Hast du Flow?“ der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft zu hören.

Stuttgarter Norden - Nein, die branchentypischen Bad-Boy-Allüren sucht man bei diesen vier Jungs aus dem Stuttgarter Norden vergeblich. Entspannt, locker, freundlich und selbstbewusst sitzen sie im ersten Stock des Jugendhauses Weilimdorf und erzählen über ihr liebstes Kind: den Rap. Sie nennen sich „Leo469“, „Anidis“ oder „Zeitrapha“, heißen aber im wirklichen Leben Leotrim Bajram, Arian Kovani und Raphael Kilpper. Zu finden sind sie regelmäßig in den Jugendhäusern in Feuerbach, Weilimdorf oder auch Zuffenhausen, wo sie in den dort eingerichteten Tonstudios an ihren neusten Tracks und Songs basteln oder auch Freunde dabei unterstützen, ihre musikalischen Projekte zu verwirklichen.

 

Manche Zeilen sind irritierend, andere tiefgründig und gesellschaftskritisch

Ihre Beats, Grooves und Reime entstehen spontan oder auch in längeren Arbeitsprozessen. Die sich reimenden Textfetzen hämmern sie zuweilen wie mit dem Pressluftbohrer aus sich heraus. Manche Zeilen sind irritierend, andere tiefgründig und gesellschaftskritisch: „Lass sie reden“, heißt ein Stück von Leo. Der 17-Jährige mit albanischen Wurzeln nimmt kein Blatt vor den Mund. Er prangert die Geschwätzigkeit dieser Gesellschaft an: „Die Leute reden mir zu viel/Ich zieh einfach mein Ding durch/Bleibe real“, rappt er. Und legt im Refrain gleich nach: „Keiner kann mir was sagen/Ich nehm nichts ins Grab mit/Außer meinen Taten“.

Der Track des Rappers aus Feuerbach ist auf dem letztjährigen Mixtape der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft zu hören. Ein starkes Stück. Dort hat auch Arian Kovani (18 Jahre) und bereits im Jahr 2016 Raphael Kilpper (20 Jahre) eigene Songs veröffentlicht. Das Projekt nennt sich „Hast du Flow?“ und wird gemeinsam von den Stuttgarter Jugendhäusern und dem Popbüro Region Stuttgart realisiert: Seit 2014 bekommen junge Stuttgarter die Möglichkeit, eigene Songs auf einer CD einzuspielen und bei einer großen Release-Party vor Publikum aufzutreten. „Außer dem Jugendtreff in Feuerbach sind im Stuttgarter Norden auch die Kinder- und Jugendhäuser Weilimdorf und Zuffenhausen an dem Projekt beteiligt“, sagt Lena Blatt, Sozialpädagogin im Jugendtreff Camp Feuerbach. In den genannten Einrichtungen seien teilweise sehr gut eingerichtete Tonstudios vorhanden, die die Jugendlichen nutzen: „Daraus hat sich in den Stadtbezirken eine Hiphop-Kultur entwickelt“, betont Blatt. Und die Jugendlichen bekommen so nebenbei eine Plattform für ihre Musik.

Empfindsamkeit wechselt mit Wut

Die Mixtape-Lieder handeln von Allzumenschlichem. Oft sind es Themen wie familiäre Konflikte, aber auch Drogen und Gewalt, die in den Songs vorkommen. Fast alle haben in ihrem Leben schon mal die Erfahrung gemacht, aus der Balance und dem seelischen Gleichgewicht geraten zu sein. Rap bietet die passende Tonspur. Druckvoll und dringlich kommen viele Textzeilen daher – wenn nötig auch im Assi-Slang. Manches klingt wie ein endgültiger Abgesang an ein normales Leben, manches wie die moderne Variante eines leidvollen Kreuzweges.

Eigene Empfindsamkeit wechselt mit Wut. Wunsch und Wirklichkeit liegen meilenweit entfernt – wie zwei Kontinente. Adrian erzählt in „Und schon wieder“ davon: „Und schon wieder will ich frei sein/Und schon wieder will ich reich sein/Ich zeig’s dir Bruder/Komm steig ein“, heißt es bei ihm. Traurig und trotzig zugleich kurvt er durch sein „Hood“ Feuerbach, berichtet von seinen Träumen. Ständig auf der Suche nach dem richtigen Kompass für diese Lebensreise.

Provokante Reime und Turbo-Sprechgesang

So auch Raphael alias „Zeitrapha“ in seinem Track „Brief an mich selbst“: „Ich flieg um die Welt/Über alles hinweg/Hab die Weichen wieder gestellt/Ich mache das, was dem Mainstream nicht gefällt“. Lyrisch kommt sein Rap daher, die Botschaft dahinter, heißt in jedem Fall: „Pass dich nicht an, mach dein eigenes Ding.“ Das tut Raphael Kilpper längst. Er ist ein echter Ton-Meister und gefragter Mischer am Pult, bringt teilweise eigene Technik und Equipment zu den Aufnahmen und Veranstaltungen mit und hat nebenbei schon sein eigenes Tonstudio, wo er selbst produzieren kann.

So machen die Vier weiter, immer weiter. An Selbstbewußtsein, Kraft und Energie mangelt es allen dabei nicht: „Meine Texte sind Geschenke/wie vom Weihnachtsmann/warum ich rappe, Bruder?/Weil ich’s kann“, heißt es in dem Stück von „Leo469“. Auch die anderen drei können’s ziemlich gut. Provo-Reime und Turbo-Sprechgesang fabrizieren sie wie die Fabrikarbeiter am Fließband. Hartes Training ist alles, und vielleicht erfüllt sich der Traum und sie stehlen dann irgendwann ihren eigenen Vorbildern die Schau.