Stuttgart-Feuerbach: Neujahrsempfang der Grünen Über Frust und Lust im politischen Alltag

Beim Neujahrsempfang der Grünen in Feuerbach wirkte Umweltminister Franz Untersteller bedrückt und kam auch gleich auf die Gründe zu sprechen: Die Entscheidung der CDU gegen die im Koalitionsvertrag vereinbarte Wahlrechtsreform sei ein Problem: „Das ist eine ernste Krise.“
Feuerbach - Das arabische Liebeslied Habibi, das Opernsängerin Cornelia Lanz und der syrische Musiker Mazen Mohsen beim Neujahrsempfang der Grünen im Freien Musikzentrum (FMZ) vortrugen, war ein Stimmungsaufheller. Es folgte ein langer warmer Applaus. Alle schienen fröhlich zu sein, als ein ziemlich ernst dreinblickender Franz Untersteller ans Mikrofon auf der Bühne des FMZ trat: Eigentlich habe er sich im Vorfeld sehr auf den Empfang im FMZ gefreut, sagte der baden-württembergische Umweltminister zu den etwa 60 bis 70 Gästen. Doch irgendwie wirkte er bedrückt und kam auch gleich darauf zu sprechen, warum: Die Regierungskoalition habe seit gestern ein veritables Problem. „Das ist eine ernste Krise“, sagte Untersteller am Mittwochabend in Feuerbach.
Hintergrund sei die angestrebte Änderung des baden-württembergischen Landtagswahlrechtes, wie sie eigentlich bereits im Koalitionsvertrag von den Partnern vereinbart sei. Mit der Reform sollte der Frauenanteil im Landtag gesteigert werden. Doch nun gebe es plötzlich den Beschluss der CDU und der laute: „Wir machen das nicht!“, berichtete Untersteller.
Der Scherbenhaufen zwischen Grünen und CDU ist wohl nicht so einfach zu kitten: „Ein Koalitionsvertrag ist doch kein Neckermann-Vertrag“, wetterte Untersteller sichtlich empört, schließlich habe CDU-Parteichef Thomas Strobl die Vereinbarung mit ausgearbeitet, doch die eigene Partei lasse ihn nun offenbar im Regen stehen. „Daher muss ich heute leider früher gehen“, sagte Untersteller bei dem Empfang. Krisenmanagement war gefragt.
Die Klimaschutzziele stehen bei den Koalitionsverhandlungen zur Disposition
Ein weiteres Drama spielt sich nach Meinung Unterstellers gerade in Berlin ab. Dort sondieren CDU/CSU und SPD für eine neue Koalition. Und eine der ersten Wasserstandsmeldungen, die durchdringe, sei, dass die Klimaschutzziele für 2020 gestrichen werden sollen, sagte Untersteller sichtlich frustriert. Den CO2-Ausstoß um 40 Prozent unter den Stand von 1990 zu drücken, sei offenbar binnen zwei Jahren nicht mehr machbar. „Für Umweltpolitiker hat das Jahr nicht gut angefangen“, konstatierte Untersteller.
Wohngebühr für Selbstzahler in Flüchtlingsunterkunft wird gesenkt
Ganz so pessimistisch wollte Andreas G. Winter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Gemeinderat, nicht ins neue Jahr starten. Er hatte zuvor über einige erfolgreiche Beschlüsse aus dem Stuttgarter Rathaus, an denen seine Partei beteiligt war, berichtet: Man habe nun die Wohngebühr für Selbstzahler in den Flüchtlingsunterkünften gesenkt. Bereits ab 1. April gelte die neue Satzung, sagte Winter. Nachdem harsche Kritik aus den Kreisen der Flüchtlingsfreundeskreise und der ehrenamtlichen Helfer laut wurde, haben die Kommunalpolitiker den Beschluss neu justiert. Die Selbstzahler müssten nun, so Winter, „einen wesentlich geringeren Beitrag zahlen“. Auch bei den Kita-Gebühren habe man Positives erreicht, denn künftig sollen mehr Familien entlastet werden. Ein wichtiges Thema der Grünen sei der ÖPNV: „Wir brauchen eine große Offensive für den Nahverkehr“, sagte Winter.
Bericht aus Berlin
Nach den beiden Männern waren die Frauen der Grünen an der Reihe, ans Mikrophon zu treten: Die neu in den Bundestag gewählte Anna Christmann berichtete von ihrer Arbeit in Berlin. Sie sei sehr enttäuscht gewesen, als die FPD einfach aus den Jamaika-Verhandlungen ausgestiegen sei, berichtet Christmann. Die Grünen seien gut vorbereitet gewesen und hätten sofort loslegen können. Nun werde man eine gute Rolle in der Opposition spielen. Sie sieht die Digitalisierung als eines ihrer Kernthemen an. Stadträtin Silvia Fischer leitete anschließend von den politischen Reden zum Buffet über: Und zwar mit den Worten des Philosophen Ludwig Feuerbach: „Der Mensch ist, was er isst“, zitierte ihn Fischer. Anschließend gab es bei kleinen lukullischen Leckereien aus der gesunden Bio- und Öko-Küche noch genug Zeit zum Gespräch im Foyer des FMZ.
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