Das Seniorendomizil Haus Martin nimmt an einem bundesweiten Präventionsprojekt teil. Neben den Bewohnern soll auch das Personal davon profitieren.

Feuerbach - Im Sitzen die Beine bewegen, „als würden wir spazierengehen“, sagt der Altenpfleger zu der kleinen Gruppe. Von der Ferse auf die Spitze, dann „langsamer gehen“. Schließlich wird noch was für Arme und Schultern getan, schön systematisch wird ein Achter gemalt. Übungen, mit denen vor der Besuchergruppe im Haus Martin gezeigt wird, wie Bewohner aktiviert und wie deren Beweglichkeit gefördert werden können. Im Grunde ist das Standard. Ganz neu aber ist, dass auch Mitarbeiter im Haus Angebote zur gesundheitlichen Förderung bekommen: als Baustein des in acht Städten der Republik stattfindenden Präventionsprojektes „Procare“, bei dem auch wissenschaftlich erforscht wird, in wieweit die Prävention bei Bewohnern und Personal wechselweise positive Effekte zeitigen könnte.

 

Das Haus Martin ist neben Martha-Maria in Stuttgart-Nord eines von zwei Seniorenheimen, in denen dieser Ansatz über einen Zeitraum von drei Jahren modellhaft geprüft wird. Entwickelt wurde Procare von der Universität Hamburg, und zwar im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK). Wissenschaftlich betreut wird das Projekt im Land von der Universität Stuttgart.

Personalnot ist große Herausforderung

Vorneweg machte Andreas Vogt, Leiter der TK-Landesvertretung, den Hintergrund des Projektes deutlich: „Die Personalnot in den Pflegeberufen ist eine große Herausforderung. Allein in Baden-Württemberg gibt es 2500 offene Stellen.“ Insofern gelte es, „über die Attraktivität des Arbeitsplatzes Personal zu gewinnen und zu binden“. Und übrigens auch Kräfte „zurückzugewinnen, die etwa in Elternzeit waren“. Kein einfaches Unterfangen angesichts der Belastungen, mit denen der Alltag pflegerischer Berufe verbunden ist, was sich auch in den Fehlzeiten spiegelt: Sie liegen bei 25 Tagen im Jahr, also um zehn Tage über dem Durchschnitt anderer Berufe.

Eine Problematik, bei der es „um Lebensqualität geht und darum, glücklich zu sein“, stellte die Professorin Nadja Schott vom Institut für Sport und Bewegungswissenschaft der Uni Stuttgart, unter deren Federführung das Modellprojekt läuft. Sie betonte, wie Menschen „trotz Einschränkungen glücklich und zufrieden sein können, bei entsprechender Förderung“. Wenn dieser Faktor bei den Bewohnern zum Tragen komme, dann habe das auch „positive Wirkungen beim Personal“: „Dann ist mehr Zeit gegeben für Arbeit mit den Menschen, dem Kern des Pflegeberufes“. Zudem sollen fürs Personal „spezifische, maßgeschneiderte Präventionsangebote“ erarbeitet werden. Wo drückt der Schuh? Was ist möglich? Wo sind die höchsten Belastungen und wo gibt es Hürden? Das seien in der Analyse vor Ort Leitfragen gewesen. Auf Bewohnerseite haben sich sechs Gruppen mit 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gebildet. Resonanz findet das Projekt auch beim Personal, wo laut Hausleiter Peter Hinneberg „jeweils vier bis zwölf Personen“ teilnehmen.

Stress-Management und Austausch

Angeleitet werden sie von Bewegungsreferenten der Uni, die ein breites Spektrum an Kompetenzen einbringen. Neben Übungen zu ergonomischen Körperhaltungen bei der Arbeit gehe es auch „um Stress-Management und Austausch“, sagte die Uni-Mitarbeiterin Heide Korbus und fügte hinzu: „Die, die daran teilnehmen, sind begeistert und kommen regelmäßig.“ Für Vogt ist Prävention „wie eine kostenlose Pille. Alle wissen, dass es gut ist, aber kaum jemand nutzt das richtig“. Die Bundestagsabgeordnete Karin Maag hat sich das Projekt angeschaut: „Es geht auch um einen prinzipiellen Spurwechsel: Heute behandeln wir vor allem Kranke. Wir sollten aber mehr Geld dafür ausgeben, dass die Leute gesund bleiben.“