Schüler des Leibniz-Gymnasiums in Feuerbach und des Gymnasiums Nr. 4 Samara haben im Renintenztheater ein Stück über Identität gezeigt

Feuerbach - Kaum hat sich „der Demokrat“ auf den schrägen Stuhl mit den verschieden kurzen Beinen gesetzt, kippt er um. Mitgefühl anderer? Fehlanzeige! „Streng dich mehr an“, sagt eine junge Frau. Ein Jugendlicher erklärt: „Reiß dich zusammen!“ Weitere Teenager stimmen ein. „Alles muss man selber machen“, heißt es da und „Nie kann man sich auf dich verlassen!“ Die Flut allgemein bekannter Vorwürfe verstummt erst, als sich drei Mädchen erbarmen. „Lasst den Mann in Ruhe.“

 

Dritte Theaterkooperation mit dem Renitenz

Der Mann, der heißt im Stück wie im Leben: Sebastian. Im Leben indes trägt er noch den Nachnamen Weingarten und ist Intendant des Renitenztheaters. Dort spielte er nun in einem Theaterprojekt mit, das innerhalb der Schulpartnerschaft zwischen dem Leibniz-Gymnasiums Stuttgart-Feuerbach und dem Gymnasium Nr. 4 Samara entstand. Es war die dritte Theaterkooperation mit dem Renitenz. Die beiden Schulen wiederum sind integriert in die seit 26 Jahren bestehende Städtepartnerstadt zwischen Stuttgart und der Wolgastadt. 24 deutsche und russische Jugendliche waren es wiederum, die im Stück „Bin ich, oder was?“ spielten, das eigens Autor und Regisseur Christian Achmed Gad Elkarim schrieb. Gerade mal zwei Wochen Zeit hatten er und Weingarten, dieses mit den Jugendlichen zu erarbeiten. Bewusst beschäftigten sie sich darin mit dem Thema Identität, das nicht erst durch Mesut Özils Austritt aus der Nationalmannschaft brisant wurde, sondern stets aktuell war und ist. Indes erhält es seit einiger Zeit insbesondere durch die politischen Abgrenzungsdiskussionen Sprengstoff. „Es geht hier neben Identität auch um Demokratieverständnis“, erklärte Daniel Krüger, stellvertretender Leiter des Leibniz-Gymnasiums, in seiner Einführung. Dass während des Stücks Assoziationen nicht nur an wenige, sondern an allerlei Länder aufkommen könnten, sei gewollt. Setzte sich die Truppe doch damit auseinander, was die Identität eines Einzelnen im Vergleich zu „den Anderen“ ausmacht? Hängt diese von der Nation ab? Wie sehr wird sie von der Sprache geprägt – und wenn ja, was bedeutet das für die eigene Verantwortung oder das Verständnis des Selbst und des Fremden? Wie hängen Selbstbild und Fremdbild zusammen – und wie entstehen dabei Antipathie und Feindschaft respektive Sympathie und Freundschaft?

Publikum zum Nachdenken anregen

Fragen, die die Jugendlichen mit den Theaterschaffenden nicht beantworteten, aber knackig, wie ironisch auf den Punkt brachten, um damit jeden Einzelnen im Publikum zum Nachdenken anzuregen. Mit allerlei Brecht’schen Kniffen: So griff etwa auf der Bühne die Unsicherheit wie eine Krankheit um sich, wer wer eigentlich sei, oder wurde das Publikum mit direkter Ansprache aus der Handlung gerissen. Man könne all diese Unsicheren, Hinterfragenden pfählen, schlug ein Protagonist Hammer schwingend vor, während andere sich Stereotypen vorwarfen. „Ich habe erlebt, die Russen sind ehrlich und treu“, hieß es da, gefolgt von „Ich habe das anders erlebt.“ Weitere Volksstimmen konstatierten wiederum „Typisch, ihr Deutschen habt ein Problem mit Patriotismus“, bis schließlich ein Detektiv-Typ, Marke Trenchcoat, erklärte: „Mir ist meine Nationalität scheißegal.“ Das Zeichen, den Demokraten alias Sebastian zu fragen: Wie wird man zu einem solchen? Wahrscheinlich so geboren, meinte der und gab erhobenen Hauptes eine Lektion dazu. Mit dem Effekt, dass die Belehrten sich demokratisch entschieden, ihn als Denkmal des „toten Demokraten“ an einer Leiter hochzuziehen und Handy-Selfies davor zu machen – um sich hernach allerdings mit verschiedenen Ausflüchten jeder Verantwortung zu entziehen, etwa nach dem Motto „Ich war nicht dabei, ich hatte keine Zeit“ oder „Ich hatte kein Interesse.“ Fazit: In gerade mal 45 Minuten kam so kurzweilig, leicht surreal und damit umso realistischer auf die Bretter, die die Welt spiegeln, was manche jahrelang diskutieren.