Die Stadt Stuttgart erwartet in diesem Jahr rund 44 000 Anträge auf Wohngeld, ein Plus von 250 Prozent. Die Auszahlung wird Monate auf sich warten lassen. Schuld sei der Bund, der den Verwaltungsaufwand vergrößert habe.

Mit dem „Wohngeld plus“ hat die Bundesregierung eine umfassende Reform zur Entlastung ärmerer Bevölkerungsschichten auf den Weg gebracht. Sie gilt seit Jahresbeginn. Statt bisher 600 000 sollen durch die Erhöhung der Einkommensgrenzen nun bis zu zwei Millionen Haushalte den Mietzuschuss erhalten, der sich zudem im Schnitt um 190 Euro erhöht. Dank einer zudem dauerhaft gewährten Heizkosten- und Klimakomponente führt das zu einer Verdoppelung des Wohngelds. Zum Problem wird aber auch in Stuttgart wegen des erwarteten Ansturms die Antragsbearbeitung in der noch unterbesetzten Abteilung. Die Verwaltung prophezeit, es werde „Monate dauern, bis die Leistungen bei den Empfängern ankommen“. Schuld daran sei auch der Bund, der alle Vorschläge zu einer vereinfachten Bearbeitung abgelehnt habe. Man hätte die Voraussetzungen für die Gewährung des Wohngelds stark vereinfachen und pauschalieren müssen.

 

Wer kann Wohngeld beziehen? Haushalte mit geringem Erwerbseinkommen, kleinen Altersrenten oder Beziehern von Arbeitslosengeld I. Zum Kreis der Anspruchsberechtigten zählen unter bestimmten Bedingungen auch Studierende, deren Bafög-Antrag abgelehnt worden ist, und unter Umständen sogar Eigentümer mit geringen Einkommen, sofern sie in ihrer Immobilie wohnen; dann heißt das Lastenzuschuss. 2020 nahmen in Deutschland 618 200 Haushalte (1,5 Prozent) das Angebot in Anspruch. Das ist weniger als die Hälfte derer, die einen Antrag hätten stellen können. In Baden-Württemberg waren es 64 380 Haushalte, in Stuttgart 5338. Mit nur 0,9 Prozent der Haushalte liegt die Landeshauptstadt deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Dennoch gab es einen Antragsstau, denn die Leistung muss jedes Jahr neu beantragt werden. Das gilt aber in der Regel nur für Rentner wegen ihrer meist konstanten Einnahmen; berufstätige Wohngeldempfänger müssen teils bis zu viermal im Jahr neue Anträge abgeben, sofern sich die Einkommensverhältnisse der Familienmitglieder im Hausstand verändern; etwa bei Gehaltserhöhungen oder Kündigungen. Im Jahr 2020 waren es 14 151 Anträge.

Wie hat sich die Stadt vorbereitet? Bisher gab es 34 Stellen in der Abteilung. Der Gemeinderat hat nun allein für die Sachbearbeitung weitere 26,5 Stellen genehmigt. Sie sind aber noch nicht alle besetzt. Weitere 14 Stellen gibt es für einen neu konzipierten Eingangs- und Unterstützungsbereich in allen Wohngeldstellen in Stuttgart. Dessen Hauptaufgabe ist die Beantwortung von Bürgerfragen, Entgegennahme und Prüfung der Vollständigkeit der Anträge und die Bearbeitung von Standardanträgen. Auch diese Stellen müssen noch besetzt werden. Die Raumfrage ist bereits geklärt. Ein Umzug der Wohngeldstelle in die Torstraße 15 ist bereits in Planung und im Frühjahr 2023 vorgesehen. Es wird wohl nicht unbedingt mehr Publikumsverkehr geben, dafür umso mehr E-Mail-Verkehr und Anrufe. Die Prognose liegt vorsichtig geschätzt bei 44 000 Anträgen. Noch im Laufe des Januars soll es die Möglichkeit geben, den Antrag über das Serviceportal des Landes online zu stellen.

Die Stadt begrüßt zwar die Ausweitung des Wohngelds, „allerdings wird es lange dauern, bis die Leistungen bei den Empfängern ankommen, sie werden monatelang auf eine Geduldsprobe gestellt“, prophezeit Stadtsprecher Sven Matis. Allerdings gilt, dass das Wohngeld bis zum Monat der Antragstellung nachgezahlt wird, falls der Antrag später bearbeitet werde. Für Januar muss er bis zum 31. des Monats gestellt sein.

Weil Stuttgarter Wohngeldbezieher auch Anspruch auf die Bonuscard haben, müssen auch die Servicecenter Soziale Leistungen mit Mehrarbeit rechnen. Das Sozialticket ermöglicht zahlreiche Vergünstigungen, zum Beispiel freien Einlass zu Kulturveranstaltungen, ermäßigte Monatstickets für den öffentlichen Nahverkehr und die Gebührenbefreiung für Kindertageseinrichtungen.

Warum gibt es Probleme bei der Auszahlung? Die Reform ist erst vor einigen Wochen beschlossen worden. Den Kommunen fehlte einfach die Zeit, das Personal an die hohe Zahl der erwarteten Antragssteller anzupassen. Außerdem seien die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen weder vereinfacht noch pauschaliert worden, wie das Länder und Kommunen gefordert hatten, sagt Stadtsprecher Matis. Sogar noch am Tag der Verabschiedung im Bundestag seien Veränderungen vorgenommen worden, die den Verwaltungsaufwand erhöhten. „Die Frage der Machbarkeit und der Umsetzung werden vom Gesetzgeber zu wenig beleuchtet“, beklagt auch der Gemeindetagspräsident Steffen Jäger. Das Bundesbauministerium hob in einer Pressemitteilung allerdings hervor, genau dies getan zu haben.

Um welche Vereinfachungen geht es? Das Ministerium sagt: Das Wohngeld kann grundsätzlich auch formlos, also per Telefon oder E-Mail beantragt werden. Stadtsprecher Matis sagt, das sei auch bisher schon möglich gewesen. Ein Antrag und die Nachweise müssen bei Erstanträgen aber „umgehend nachgereicht werden“. Das Ministeriums behauptet zudem, das Wohngeld könne nach einer vereinfachten Prüfung vorläufig und damit schneller ausgezahlt werden. Matis dazu: Die Leistungsvoraussetzungen müssten dennoch feststehen, weshalb 95 Prozent des Verwaltungsaufwands bis zum Bescheid einer vorläufigen Leistung anfielen. Für die endgültige Entscheidung wiederhole sich der Vorgang dann; insgesamt gebe es einen Mehraufwand. Ministerium: Der Bewilligungszeitraum kann auf bis zu 24 Monate verlängert werden. Matis: Das gelte nur bei konstanten Einkommen, was den Anwendungsbereich stark einschränke. Mehraufwand entstehe aber, weil Anträge zur Erhöhung des Wohngelds nun bereits bei einer mehr als zehnprozentigen Minderung des Einkommens oder Erhöhung der Miete gestellt werden dürfen – bisher waren es 15 Prozent. Es bleibt dagegen dabei, dass bereits bei Einkommenserhöhungen von mehr als 15 Prozent von Amts wegen einer Verringerung des Zuschusses vorgenommen werden muss. Länder und Kommunen hatten eine Erhöhung auf 30 Prozent gefordert.

Wie wird das Wohngeld berechnet? Das ist abhängig von der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder, von der monatlichen (Bruttokalt-)Miete oder der Belastung bei Eigentümern und vom Einkommen des Haushalts. Das wohngeldrechtliche Einkommen ist in den meisten Fällen aufgrund verschiedener Abzüge niedriger als das Bruttoeinkommen. Die Beträge richten sich auch noch nach dem örtlichen Mietniveau. Die Kommunen sind in sieben Bereiche eingeteilt, Stuttgart liegt in Stufe 6. In Stufe 3 entsprechen die Mieten einer Gemeinde dem Bundesdurchschnitt. Das Bundesbauministerium hat auf seiner Internetseite einen Wohngeldrechner eingestellt.