Ausflugsfahrt im Panoramawagen: Verletzte Soldaten in Stuttgart, vermutlich im Frühjahr 1943. Foto: Stadtarchiv/Montage:Ruckaberle
Der neueste Film unseres Projekts zeigt Soldaten und das intakte alte Stuttgart. Die Clips sollten festhalten, wie sich das Naziregime um Verwundete kümmerte. Die Bilder von Stuttgart sind echt. Das Bild vom Krieg und seinen Folgen nicht.
Weder die Nazis noch die Bomben konnten dieses Panorama zerstören. Wer von der Neuen Weinsteige über den Stuttgarter Süden bis weit in den Talkessel blickt, kriegt ein Gefühl für die Stadt. Es ist einer der schönsten Ausblicke Stuttgarts, wenngleich heute kaum mehr jemand seine Fahrt von der Stadtmitte Richtung Degerloch unterbricht, um ihn zu genießen.
Im Frühjahr 1943 ist es anders, wie der neueste Film unseres Gemeinschaftsprojekts mit dem Stadtarchiv zeigt. Der Originalclip ist mit „Verwundetenfahrt im Aussichtswagen der Stuttgarter Straßenbahnen“ überschrieben. Der Wagen wurde für die Reichsgartenschau 1939 gebaut und bot durch großzügige Glasflächen für die Fahrgäste einen Rundumblick.
Die Fahrt durch Stuttgart wurde für verwundete Soldaten organisiert. Die Bilder zeigen eine Spritztour durch das weitgehend intakte alte Stuttgart. Los geht es im Osten bei der damaligen Bergkaserne auf dem Gelände des heutigen Kurparks Berg. Durch die Hackstraße geht es Richtung City, an Königsbau und Karlsplatz vorbei. Der Charlottenplatz und das Olgaeck sind auch für heutige Betrachter gut zu erkennen – allerdings mit der später zerstörten, originalen Bebauung. Allein diese Bilder machen den Film stadthistorisch interessant, ebenso das Ziel der Fahrt – eine Gaststätte in der Degerlocher Löffelstraße. Wo heute der Verkehr der Bundesstraße donnert, konnte man damals Essen gehen.
Propaganda auf den zweiten Blick
„Wie bei fast allen Filmen der Kriegsfilmchronik ist das auf den ersten Blick alles wenig spektakulär“, sagt der Stadtarchiv-Historiker Günter Riederer. Auf den zweiten Blick fallen ihm dann aber doch einige Punkte auf.
„Wir sehen ein politisch gewünschtes Bild von einem vermeintlich ‚sauberen“ Krieg“, so Riederer. Die verwundeten Soldaten würden als fidele Ausflugsgesellschaft gezeigt, die im Panoramawagen raucht und scherzt. Wenn Verletzungen zu sehen seien, dann meist leichtere wie eine gut verheilte Wunde im Gesicht oder ein in der Schlinge getragenen Arm. Lediglich ein am linken Bein amputierter Soldat hat eine schwere Verletzung davongetragen. „Aber selbst er ist problemlos in der Lage, mit zwei Krücken und ohne fremde Hilfe wieder in den Wagen zu steigen“, schildert Riederer.
Ähnlich harmlos, jedenfalls was die Verletzungen angeht, wirken die Bilder aus dem zweiten Clip, die ebenfalls in dem neuen Film zu sehen sind. Sie zeigen eine von der Stadtverwaltung organisierte Verwundetenfeier im Stadtgarten. Sie hat, wie Riederer in den Zeitungen „NS-Kurier“ und „Neues Tagblatt“ recherchierte, am 13. Juni 1941 stattgefunden. Ein bunt gemischtes Varietéprogramm zu Kaffee, Kuchen und Bier soll die mehr als 1100 Eingeladenen unterhalten. Zu ihnen gehören neben Soldaten auch Ärzte, Krankenschwestern und Sanitätspersonal der Stuttgarter Lazarette.
Unterhaltung auch für nicht Verwundete
Der Film gibt Einblicke in einen verschwundenen Teil Stuttgarts und in die Unterhaltungskultur dieser Zeit. Zu sehen sind Nummern am Reck und Trapez, sowie eine Pferdedressur. Zwischendurch zeigt der Film fröhlich schäkernde Besucherinnen und Besucher – und nur wenige schwer Verwundete. Einmal reicht eine Krankenschwester einem Soldaten mit dem Arm in der Schlinge eine Zigarette.
Sommer-Varieté 1942 Foto: Stadtarchiv/Riederer
Im Stadtgarten gab es damals oft Unterhaltungsprogramm. Günter Riederer hat im Bestand des Stadtarchivs das Programm einer „Sommer-Varieté“ aus dem Jahr 1942 gefunden, in dem sich teilweise die gleichen Programmpunkte finden wie bei der Verwundetenfeier. Beworben werden die montags bis freitags stattfindenden „Hausfrauen-Nachmittage“ – samt Hinweis auf das richtige Verhalten bei Fliegeralarm („Vor allem Ruhe bewahren ... Es ist für alles bestens gesorgt und kein Grund zur Beängstigung.“).
Bei der Vorführung anno 1941 ist davon noch keine Rede, man war damals vom „Endsieg“ überzeugt. Und von den Idealen der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“, die sich um Verletzte von der Front kümmert. Außerdem werden Soldaten als Teil des Alltags im Stuttgart dieser Jahre gezeigt – ob verwundet oder nicht.
Soldaten im Stuttgarter Stadtbild
„Dass die so Umsorgten und hoffentlich bald Genesenen möglichst schnell wieder an die Front zurückkehren sollten, wird in den Filmen natürlich nicht thematisiert“, sagt Günter Riederer. Außerdem stehe die Darstellung im deutlichen Gegensatz zu den Anti-Kriegsbildern im Nachgang des Ersten Weltkriegs. Die gezeigten Verwundungen seien nicht oder nicht mehr lebensbedrohlich. Riederer: „Der Krieg erscheint hier sauber und hygienisch, ja fast aseptisch.“
Wie aber war das mit den Soldaten im Stadtbild? Tatsächlich, das zeigen auch viele Bilder aus unserem Projekt „Stuttgart 1942“, waren Soldaten in Uniform während des Kriegs ein Teil des Straßenbilds. Zwei bis drei Wochen pro Jahr standen einem Soldaten typischerweise zu, bei besonderen Leistungen oder Anlässen gab es ein paar Tage extra. Danach ging es zurück an die Front.
Während ihrer Zeit in Stuttgart hatten die Fronturlauber, ebenso wie die Verwundeten aus dem Film, Uniform zu tragen. Den Weg von der Front in die Heimat schilderten Zeitzeugen vielfach als mühsam und in Frontnähe auch gefährlich. „Es fällt schwer zu glauben, dass die Strapazen durch kameradschaftliches Wohlwollen einfach auflösten“, heißt es in Christian Packheisers 2020 erschienenem Buch „Heimaturlaub“, das auch Zeitzeugenberichte enthält. Hinzu kamen belastende Erinnerungen an die Fronterlebnisse oder Gewissensbisse etwa infolge von Kriegsverbrechen. Das konnte „bis zum inneren Rückzug gegenüber den Angehörigen“ führen, schreibt Packheiser.
Waren die Erzählungen der Soldaten ein Gegengewicht zur Propaganda? „Sicher haben Soldaten über ihre Erlebnisse an der Front erzählt“, sagt Günter Riederer – öffentlich aber quasi nie kritisch. Stattdessen rekrutierte das Regime Fronturlauber als Redner, die konform und positiv über das Kriegsgeschehen berichten sollten – etwa im Februar und März 1941 bei der Kriegswinterpropagandaaktion „Die Front spricht zur Heimat“. Aus dem privaten Bereich finden sich dagegen bereits im Winter 1941 in Sicherheitsberichten Hinweise auf Resignation, Kriegsmüdigkeit und Angst vor einer unabsehbaren Kriegsdauer.
Nicht zu Unrecht. Der Panoramawagen aus dem Film brannte aus, der Pavillon im Stadtgarten wurde zerstört. Nur den Ausblick auf Stuttgart gibt es heute noch.