Am 14. Mai startet das Literaturprojekt „Stuttgart liest ein Buch“. Die Organisatorin Astrid Braun lockt mit einem Roman über eine große Sturmflut in Holland.

Stuttgart - Aus dreißig Büchern hat ein Arbeitskreis um die Leiterin des Schriftstellerhauses, Astrid Braun, Margriet de Moors Roman „Sturmflut“ ausgewählt. Warum, erklärt sie im Interview.

 

Frau Braun, warum soll in Stuttgart eine Sturmflut, beziehungsweise Margriet de Moors gleichnamiger Roman zum Stadtgespräch werden?
Wir wollten die Leute herausfordern, sich mit Dingen zu beschäftigen, die nicht ohnehin auf dem Tisch liegen. Darin liegt natürlich immer ein Risiko. Es ging darum, einen Titel zu finden, der unter literarischen Gesichtspunkten sehr gut ist, eine große Zielgruppe anspricht, der Spannung bietet und zugleich eine große Spannbreite von Themen: Familie, Identität, Geschwisterrivalität. Und natürlich das große Thema Naturkatastrophe.

Aber dass der Nesenbach über die Ufer tritt, ist eher unwahrscheinlich.
Wir haben die Entscheidung eine Woche vor dem GAU in Fukushima getroffen. Natürlich haben wir so etwas in Stuttgart nicht zu erwarten, hoffentlich. Aber man ist nie auf der sicheren Seite. Durch eine schicksalhafte Verknüpfung kann auch hier einiges passieren. Und natürlich ist auch Stuttgart 21 ein Einschnitt in topografische Gegebenheiten, auch wenn wir uns in keiner Weise in irgendeine Ecke drängen lassen wollen.

Apropos, könnte man sagen, dass sie eine in Gegensätze zerfallene Stadt wieder zu einem einigen großen Lesekreis zusammenschmieden wollen?
Das wäre tatsächlich mein Lieblingsgedanke: dass ganz viele unterschiedliche Menschen das Buch lesen. Es werden sicher nicht alle mögen, keine Frage, aber sie können sich darüber auseinandersetzen, ohne gleich in eine ideologische Position verfallen zu müssen.

Wie groß ist die Resonanz bis jetzt?
Sehr gerührt war ich, als sich vor sechs Wochen der Literaturkreis Nord-Schwarzwald angemeldet hat. Wir haben in der Stadt und im Internet kräftig die Werbetrommel gerührt. Ein Buchhändlerin erzählte mir von Kunden, die das Buch, „das man jetzt liest“, verlangt hätten. Ich hege die vielleicht idealistische Erwartung, dass in jeder hundertsten bis fünfhundertsten Jacke das Buch steckt. Nicht nur in Frauenjacken, wir wollen auch Männer mit ins Boot nehmen.

Woher kommt die Idee zu dem Projekt?
Ursprünglich aus Amerika. In den neunziger Jahren haben dort verschieden Städte so etwas mit Erfolg betrieben. In Deutschland gab es dann in Hamburg, Köln und Düsseldorf Vergleichbares. Für Baden-Württemberg ist es eine Premiere. Die Chance, die darin steckt, ist, die Gesellschaft für literarische Fragen zu sensibilisieren. Und die verschiedensten kulturellen Institutionen einer Stadt wirken mit.

Auf was freuen Sie sich am meisten?
Ich bin vor allem auf das Echo gespannt, auf das, was die Leute sagen. Es ist immer wieder bemerkenswert, welche unterschiedlichen Reaktionen Literatur in den Menschen auslösen kann.

Was entgeht dem, der nicht mitmacht?
Es ist ungeheuer wichtig, das eigene Denken immer wieder neu zusammenzusetzen. Dies ist eine Gelegenheit dazu. Das innere Reisen durch ein Buch zählt zu den bereicherndsten und schönsten Dingen.