Für das Lesefestival „Stuttgart liest ein Buch“ vom 17-27. Oktober 2017 kommt Shida Bazyar mit ihrem Roman „Nachts ist es leise in Teheran“ in die Landeshauptstadt. Eine Begegnung in Berlin.

Berlin - In einen großen Mantel gehüllt, in dem ihre kleine Gestalt fast verschwindet, kommt die Autorin Shida Bazyar durch die Tür des Berliner Cafés Dujardin. Als sie sich lächelnd und verschnupft an den Tisch setzt, hält sie ihre Hände beinahe schüchtern im Schoß gefaltet und nur ihre großen wachen Augen verraten, dass hinter der zurückhaltenden Höflichkeit ein Geist voller Scharfsinn und Humor steckt.

 

Mit „Nachts ist es leise in Teheran“ ist ihr ein viel beachtetes Debütwerk gelungen, das ebenso Familienroman wie Fluchtgeschichte ist und mit dem sie von Dienstag an im Mittelpunkt des vom Stuttgarter Schriftstellerhaus und seiner rührigen Chefin, Astrid Braun, veranstalteten Lesefestivals „Stuttgart liest ein Buch“ steht. Zehn Tage wird sich eine ganze Stadt mit ihrem Werk befassen, in dem sie in vier Kapiteln aus vier Perspektiven zu vier Zeiten die erste und zweite Generation einer Familie portraitiert, die aus ihrem Heimatland fliehen muss und in der Fremde nach Zugehörigkeit sucht. Ihre Geschichte beginnt 1979 mit der Revolution in Teheran, aus der die heutige Islamische Republik hervorging und endet in der deutschen Gegenwart. Auf berührende Weise zeigt Shida Bazyar die Zerreißprobe zwischen zwei Kulturen, vor der geflüchtete Menschen unweigerlich stehen. Sie erzählt von dem Spagat, den beide Generationen auf ihre Weise zu vollziehen versuchen: einerseits ein neues Zuhause finden zu müssen, andererseits das alte nicht loslassen zu können.

Ein Buch, das viele Themen hat

Auf das so aktuelle Thema von Flucht und Migration reduziert zu werden, möchte die junge Autorin, deren Eltern selbst politische Aktivisten waren und vor der Islamischen Revolution nach Deutschland flohen, jedoch nicht. „Es ist ein Buch, das viele Themen hat“, sagt sie. „Es geht darum, was Zeitgeschichte, was geschichtliche Wendepunkte mit Menschen und Menschenleben machen. Um die Frage: Was macht das mit Generationen? Was macht das mit Geschlechterrollen?“ Sie beginnt bei dem jungen, kommunistischen Revolutionär Behsad, dessen Sicht zehn Jahre später, schon in Deutschland, von seiner Frau abgelöst wird und führt den Leser weiter zu ihren Kindern, die einen ganz anderen Blick auf die beiden Länder werfen, zwischen denen sie und ihre Eltern sich bewegen. Generationenkonflikte und Geschlechterpositionen scheinen bei Bazyar aufeinander zu antworten, geschickt bedient sie das Uhrwerk der Generationen und zeigt, wo und auf welche Weise die einzelnen Rädchen ineinander greifen. „Eltern und Kinder, sie alle beanspruchen für sich eine Wahrheit“, erklärt sie. „Auch wenn sie sich zum Teil widersprechen. Aber alle haben ihren Grund und ihren Anlass so zu denken, wie sie denken.“

Wie Sonden schickt sie ihre Romanfiguren in Bereiche, die sonst nicht sichtbar sind

Um aus der Literaturblase hinauszukommen und etwas zu haben, das sie immer wieder in das echte Leben zurückholt, arbeitet die 29-jährige Shida Bazyar auch als Sozialarbeiterin in Berlin. Das Mosaik von Lebensphasen und -geschichten, aus dem der Roman besteht, sammelte sie sich in aufwendiger Internet- und Literaturrecherchearbeit wie aus Interviews mit ihren Familienangehörigen zusammen. „Ich wollte etwas lernen über all die Dinge, die mich geprägt haben, aber über die ich gar nichts weiß“, sagt sie. Es dann jedoch nur bei der Revolution 1979 zu belassen, wäre ihr zu wenig gewesen. „Ich weiß, dass es die Massenhinrichtungen Ende der Achtziger gab, ich weiß, dass es die Studentenproteste Ende der Neunziger gab und die so genannte Grüne Bewegung 2009. Das alles zu ignorieren, hätte sich komisch angefühlt.“

Ihre klare, auf Recht und Unrecht bedachte Sichtweise richtet sie auch auf die Bundestagswahl in Deutschland, deren Folgen sie mit Sorge betrachtet. „Ich finde die Wortwahl in dieser Debatte jetzt schon merkwürdig“, sagt sie. „Man hat die Sorgen und Ängste der Bürger nicht ernstgenommen? Ich habe nur Ängste und Sorgen gesehen. Jede Polittalkshow hat sich zum Thema gemacht über Sorgen und Ängste von Nazis zu sprechen. Und ich verstehe nicht, warum ich mir in einem Kanzlerduell anderthalb Stunden anhören muss, was zwei Menschen zu rechten Parolen sagen. Da werde ich als Wählerin doch nicht ernst genommen.“

In der medialen Berichterstattung sieht sie ein klares Missverhältnis. „Es ist ein großes Ungleichgewicht, welche Stimmen wir hören. Diese Machtverteilung ist nicht fair. Den rechten Haltungen muss weniger Raum gegeben werden und alle, die anderer Meinung sind, müssen laut sein.“ Auch die Verwendung von Sprache kritisiert sie in diesem Zusammenhang. „Es wirkt so makaber von besorgten Bürgern zu sprechen, wenn andere Menschen gerade um ihr Leben geflohen sind. Und diese Begrifflichkeit der Flüchtlingskrise war mir von Anfang an ein Rätsel. Ich hatte gehofft, dass sich das als Wort irgendwann verabschiedet. Warum reden wir von einer Krise? Wir haben keine Krise.“

Die Perspektiven unterscheiden sich erheblich

In ihrem Roman beleuchtet sie eine ganz andere Perspektive. Wie Sonden schickt sie ihre Romanfiguren in Bereiche, die sonst nicht sichtbar sind. In einer Zeit, in der alle ihren Blick auf geflüchtete Menschen richten, beschreibt sie den Blick geflüchteter Menschen auf die deutsche Gesellschaft. Darin ist das Unverständnis zwischen Kulturen ebenso eingeschlossen wie ihre wohlwollende Begegnung. Dabei ist es ihr wichtig zu zeigen, wer in einem Familiengefüge welche Rolle einnimmt, welche Perspektiven die Kinder auf ihre Eltern einnehmen, und warum sich diese innerhalb der jungen Generation unterscheiden.

Der Rassismus, der diesen Menschen entgegenschlägt, ist nichts, was ihr mit ihrem persischen Aussehen fremd wäre. Unter anderem deswegen zog sie nach dem Studium des Literarischen Schreibens weg aus Hildesheim und nach Berlin. „Ich möchte nicht mehr das Phänomen sein, das man anstarren möchte und anstarren darf“, sagt sie ernsthaft und fügt dann auf die ihr so eigene humorvolle Art hinzu: „Wenn du schon gucken musst, dann guck halt diskret.“ Sie lacht und einen Augenblick später wird sie wieder ernst. „Wenn es um Rassismus geht, sind meine Eltern viel wohlwollender. Aber das ist ganz natürlich. Meine Eltern sind in Deutschland angekommen und waren Fremde. Sie haben sich nicht daran gestört als Fremde wahrgenommen zu werden. Das ist ein großer Unterschied zu mir, die ich hier geboren bin und noch nie fremd war, der aber Menschen von außen suggerieren wollen, irgendetwas an mir wäre fremd.“

Shida Bazyar bekommt den Uwe-Johnson-Förderpreis

Zum Abschied lächelt Shida Bazyar auf ihre warme, herzliche Art, dann wendet sie sich hinaus in den Nachmittag, zurück Richtung Bett. In zwei Tagen soll sie den Uwe-Johnson-Förderpreis entgegennehmen. „Man kann doch unmöglich zu seiner eigenen Preisverleihung nicht erscheinen“. Dann ist sie endgültig verschwunden.

Zu dem Lesefest ist eine eigene Ausgabe des Romans erschienen: Shida Bazyar: Nachts ist es leise in Teheran. Kiwi-Taschenbuch. 288 Seiten, 9,99 Euro.