Die Stadt investiert fast eine Million Euro in den Artenschutz. In zahlreichen Gebieten sollen Lebensräume für seltene Tier- und Pflanzenarten geschützt werden. Manch ein Biotop findet sich an ganz ungewöhnlicher Stelle.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Vaihingen/Möhringen - Die Stadt hat sich vorgenommen, dem fortschreitenden Insektensterben und dem Artenschwund entgegenzuwirken. Ein neues Konzept soll die Artenvielfalt in Stuttgart bewahren. Im Frühjahr war es erstmals vorgestellt worden, am 1. Oktober fiel der Startschuss für die ersten Maßnahmen. Peter Pätzold, Bürgermeister für Städtebau und Umwelt, sagte vergangene Woche: „Ohne das Zusammenspiel der verschiedenen Arten würde es kein Leben auf der Erde geben. Deshalb müssen wir alles tun, um das Artensterben zu stoppen.“ Insgesamt 914 000 Euro hat der Gemeinderat bei seinen letzten Haushaltsberatungen bis zum Jahr 2022 für das kommunale Artenschutzkonzept bereitgestellt. Das Konzept beinhaltet zahlreiche Biotopformen sowie Tier- und Pflanzenarten, die es zu schützen gilt. Einige davon finden sich in Möhringen und Vaihingen, vom Probstsee bis zum Sindelbach, vom Vaihinger Rosental bis zu den Streuobstwiesen im Kressart.

 

Die Gäubahntrasse: Heimat für zahlreiche Insekten

Teilweise liegen die Biotope an Stellen, an denen ein Tier- und Pflanzenparadies eher unwahrscheinlich scheint, etwa entlang der Gäubahn im Dachswald. Dort sollen schon bald Tatsachen geschaffen werden. Damit eine Art gedeihen kann, muss allerdings eine andere weichen. Zwischen Dachswaldweg und der Gäubahntrasse sollen die Hänge gelichtet werden. Und zwar radikal – die Stadt kündigt an, dass nur wenige Bäume und Sträucher stehenbleiben sollen. Das allerdings hat seinen Grund: An den Hängen sollen künftig Insekten wie Wildbienen, Schmetterlinge und Heuschrecken ein Zuhause finden, ebenso wie seltene Pflanzenarten. Die Gäubahnböschungen seien einer der letzten Standorte in Baden-Württemberg, an denen der Vielblütige Backenklee wächst.

Die Maßnahmen sollen in den kommenden Monaten stattfinden. „Die Herbst- und Winterzeit eignet sich besonders gut für solche Pflegemaßnahmen, weil die Vögel noch nicht brüten“, erläuterte Bürgermeister Pätzold in der vergangenen Woche. Die Ausdünnung sei notwendig, um seltene Wiesen- und Trockenrasenflächen vor der Verbuschung zu schützen.

In den Streuobstwiesen fühlen sich auch Fledermäuse wohl

Streuobstwiesen wie die im Kressart in Sonnenberg oder am Rohrer Weg in Möhringen sind ebenfalls im Artenschutzkonzept gelistet. „Die alten Obstbäume weisen Höhlenstrukturen für Fledermäuse und Höhlenbrüter auf, Schmetterlinge und Heuschrecken haben diesen extensiven Wiesenlebensraum ebenso wie die Wildbienen und andere Insekten für sich entdeckt“, heißt es in dem Konzept. Specht, Gartenrotschwanz und Fledermaus fühlen sich dort wohl. Es gelte, diese Bereiche zu schützen, etwa durch eine konstante Pflege, den Erhalt von Totholz, die Pflanzung heimischer Obstsorten und die Vermeidung von Dünge- und chemischen Schutzmitteln.

Der Probstsee sei als Beispiel für ein großes Röhrichtvorkommen genannt. Dort ist eine der größten Teichhuhnpopulationen in Stuttgart zuhause. Um den Lebensraum zu schützen, schlägt das Konzept unter anderem vor, neue Röhricht- und Hochstaudenbestände anzulegen und das Mähen einzuschränken. Auch eine Absperrung von Kernbereichen könnte eine Lösung sein, damit die Teichhühner in Ruhe brüten können. Müll und Unrat ist am Probstsee ebenso ein Problem wie im Hochstaudenflur im Vaihinger Rosental. Auch dort könnte eine Begrenzung der Mahd auf einmal im Jahr den Pflanzen- und Tierarten, etwa der Ringelnatter, Vorteile bringen.

Das Teichhuhn brütet am Probstsee und den Wildparkseen

Auch das Körschtal zwischen Möhringen und Plieningen taucht im Artenschutzkonzept auf. Unter anderem bedroht das Eschentriebsterben dort den Bestand an Eschen. Im Konzept wird beispielsweise vorgeschlagen, abgestorbene Eschen durch Weiden, Erlen, Pappeln, Traubenkirschen, Ulmen, und resistente Eschen zu ersetzen. Zudem soll Totholz als wichtiger Lebensraum etwa für Käferarten erhalten bleiben.

Die Körsch und der Sindelbach dienen als Beispiele für kleine Fließgewässer in der Landeshauptstadt. Vorgeschlagene Maßnahmen laut Artenschutzkonzept sind etwa die Schaffung von Flachwasserbereichen, weitere Verdohlungen sollen vermieden, das Bachbett erweitert werden. Das kommt etwa Laufkäferarten, Bachmuscheln und der Zangenlibelle zugute.

Die drei Wildparkseen im Rot- und Schwarzwildpark sind künstlich angelegte Stillgewässer. Hier sind beispielsweise Teichhuhn, Ringelnatter, die kleine Zangenlibelle und die gemeine Teichmuschel zu finden. Um diese Arten zu schützen und zu fördern, sollen etwa Flachwasserzonen geschaffen und Pflanzenarten angesetzt werden, die den Tieren Nahrung und Unterschlupf bieten. Altgras-, Hochstauden- und Röhrichtbereiche sollen erhalten und gepflegt werden. Müll und Verschmutzungen sollen gezielt beseitigt und die Wasserqualität verbessert werden. Die Magerrasenflächen im Rot- und Schwarzwildpark bieten Zauneidechsen, Wildbienen und Schmetterlingen ein Zuhause. Sie sollen künftig seltener gemäht werden, zudem soll der Grünschnitt gleich abtransportiert werden. Auch eine Erweiterung der Flächen trägt laut Konzept zum Artenschutz bei.