Er war bei den Nazis an der Spitze des Stuttgarter Gesundheitsamtes – und er war es später wieder. Roland Müller, der Chef vom Stadtarchiv, ist der erstaunlichen Karriere von Walter Saleck nachgegangen.

Stuttgart - Die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass in Stuttgart viele führende Köpfe des städtischen NS-Verwaltungsapparats nach 1945 wieder Spitzenpositionen in der Stadt einnahmen, ist ein besonders dunkles Stück Lokalgeschichte. Am Beispiel des „zweifachen Direktors des Städtischen Gesundheitsamts Stuttgart“, des Hygienemediziners Walter Saleck, hat der Leiter des Stuttgarter Stadtarchivs, Roland Müller, einen solchen Karriereweg exemplarisch nachgezeichnet. Sein Beitrag über den 1896 in Stuttgart geborenen Mediziner ist Teil des kürzlich erschienenen Bands „Täter, Helfer Trittbrettfahrer – NS-Belastete aus der Region Stuttgart“. Saleck war nicht nur zwischen 1938 und 1945, sondern noch einmal zwischen 1958 und 1962 Leiter des Städtischen Gesundheitsamtes.

 

„Kollaboration alter Verwaltungseliten“

Wie Müller betont, sei das damalige Stuttgart ein gutes Beispiel für die „Kollaboration alter Verwaltungseliten“. Obgleich Saleck bereits ab 1933 Mitglied der NSDAP und ab 1935 der SS war, konnte er – nach einem Entnazifizierungsverfahren – nach 1945 rasch wieder an alter Stelle wirken. Zur zweiten Amtsleiterstelle verhalfen ihm 1958 demnach vor allem alte Seilschaften in der Gesundheitsverwaltung. Schon Salecks Vorgängerin in der Amtsspitze nach dem Krieg, Maria Schiller, war NSDAP-Mitglied und ab 1942 Stadtärztin in Stuttgart gewesen. Bei ihrer Verabschiedung und Übergabe an Saleck betonte Schiller, dass dieser „genau wie ich aus dem Geist lebt, den Professor Gastpar und Professor Lempp diesem ihrem Amt mitgeteilt hatten“ – und gab damit, vermutlich ungewollt, tiefen Einblick in Kontinuitätsmechanismen.

Es war vor allem Alfred Gastpar, der als langjähriger Amtsleiter kurz nach 1933 für die Selbstmobilisierung des Gesundheitsamts im Sinne der neuen Machthaber gesorgt hatte. Lempp war dessen Stellvertreter und wurde 1946 nach Ermittlungen zu Krankenmorden zu einer Haftstrafe verurteilt. Die im März 1934 in „Städtisches Gesundheitsamt – Amt für Rassenpflege und Bevölkerungspolitik“ umbenannte Behörde hatte, so Gastpar selbst, rasch seine „Eignung (…) für die Durchführung der gesundheitspolitischen Ziele des nationalsozialistischen Staates einwandfrei bewiesen“: In Zahlen hieß das, schreibt Müller, dass im Sinne des NS-Erbgesundheitsgesetztes von 1934 noch im selben Jahr in Stuttgart beispielsweise 77 Frauen und 73 Männern zwangssterilisiert wurden, 43 Zwangsabtreibungen wurden innerhalb der ersten beiden Jahre vorgenommen.

Saleck war Ortsgruppenleiter der Gesellschaft für Rassenhygiene

In einer solchen Behörde war Saleck, der als Lehrbefähigter der Universität Tübingen zuvor schon Vorträge über Rassenhygiene gehalten hatte und dort Ortsgruppenleiter der Gesellschaft für Rassenhygiene war, offenbar gut aufgehoben. 1934 trat er ins Gesundheitsamt ein. Dass er 1938 Nachfolger Gastpars werden konnte, hatte er dann, neben seiner fachlichen Befähigung, gegenüber Konkurrenten der Intervention der SS zu verdanken.

„Im Entnazifizierungsverfahren“, so schreibt Roland Müller, „brachte Saleck die üblichen Zeugnisse aus der Ärzteschaft, von Mitarbeitern und Vorgesetzten bei, die ihm ausgezeichnete sachorientierte Arbeit ohne Ansehen von Person und Parteimitgliedschaft attestierten.“ Die Spruchkammer stufte den Mediziner am 10. August 1948 als „Mitläufer“ ein. Damit war die Bahn formal frei für eine Karriere im kriegszerstörten Stuttgart, in dem ein „erheblicher Personalmangel, auch hervorgerufen durch die hohe Zahl von 60 Prozent NSDAP-Parteigenossen unter Ärzten und Krankenhausangestellten“ herrschte.

Saleck hat im NS-Staat funktioniert – und hinterher

Bei seiner Verabschiedung 1962, so berichtet Roland Müller, „nannte Oberbürgermeister Klett Salecks Lebensweg einen Spiegel der wechselvollen Geschichte der ersten Hälfte des Jahrhunderts“. Als der ehemalige Amtsleiter des Gesundheitsamts 1964 auf Vorschlag der Stadt ehrenamtlicher Vorstand der Charlotten-Augenklinik werden sollte, sei es zu genau einem aktenkundigen, nichtöffentlichen Protest durch den Oberkirchenrat Wilhelm Pressel gekommen, der Klett in der Causa Saleck moralisches Versagen vorwarf. „Saleck hat im NS-Staat funktioniert, und er hat hinterher auch funktioniert“, sagt Müller. Die spannende Frage hinter diesem exemplarischen Fall sei, was diese Kontinuitäten ermöglicht habe.

Am Donnerstag, 26. September, um 19 Uhr stellt der Herausgeber Wolfgang Proske im Stadtarchiv Stuttgart den 10. Band der Buchreihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ mit dem Untertitel „NS-Belastete aus der Region Stuttgart“ vor. Mit diesem Band endet die Buchreihe zu NS-Belasteten in Baden-Württemberg. Roland Müller berichtet im Rahmen der Buchvorstellung auch über den Fall Saleck.