Was macht eine Stadt eigen, interessant, und lebenswert? Der fünfte H + M oder der zweite Primark? Eher nicht. Mit dieser Frage beschäftigt man sich derzeit im Kunstgebäude. Und wundert sich darüber, dass Stuttgart es schafft, zwei Hauptdarsteller des Kulturlebens aufeinanderzuhetzen.

Stuttgart - Man kann schon mal was vergessen. Wo man etwa die Brille liegen gelassen hat oder das Handy und der Autoschlüssel nun schon wieder rumfahren. Aber kann man einfach einen Verein mit 400 Leuten vergessen? Doch, das geht. Die Stadt Stuttgart schafft das. Aber holen wir kurz aus. Die Oper muss saniert werden, seit langem sucht man ein Ausweichquartier. Der Akademiegarten war im Gespräch, da war der Umweltschutz vor. Das Katzenstift sollte weichen, da siegte der gesunde Menschenverstand. Das Paketpostamt war schon erwählt, der Umbau erwies sich aber als zu teuer. Nun kamen OB Fritz Kuhn und sein Suchtrupp auf die Idee, die Container des Kunstvereins vor den Wagenhallen durch die Oper zu ersetzen. Blöd nur, dass weder der Kunstverein noch die Gärtner von Stadtacker noch die Leute von Contain’t davon wussten. Die haben dort nämlich ihre Ateliers und Beete. Nun will man sich zum Gespräch treffen, „uns hat man aber vergessen einzuladen“, sagt Marco Trotta, Vorstand des Künstlervereins Contain’t. Das lässt sich beheben, man wird miteinander reden, aber es hinterlässt ein schales Gefühl. Weil es von wenig Wertschätzung und Verständnis zeugt. Und man hat so einen Konflikt geschaffen, der völlig unnötig ist. Plötzlich kämpfen Künstler gegen Künstler um Raum, dabei muss doch in einer Stadt, die was auf sich hält, Platz sein für beides: Oper und Containerstadt.

 

Was ist überhaupt Subkultur?

Subkultur ist ein furchtbares Wort. Sperrig und schwammig. Jeder versteht etwas anderes darunter. Für den einen ist es der Lieblingsclub, für den anderen die besagte Kunst oder die Wand mit Graffiti, das Nutzen alter Gemäuer oder eben auch das Gärtnern in der Stadt, neudeutsch Urban Gardening. All dem gemein ist, dass die Menschen sich den öffentlichen Raum wieder aneignen. Jahrzehntelang hat man die Stadt den Architekten, Stadtplanern und Politikern überlassen. Mit der Folge, dass der meiste Platz von Geschäftemachern für Büros und Einkaufszentren besetzt wurde. Was übrig blieb, schusterte man den Autos zu, auf dass sie fahren und parken können. Das ändert sich, die Menschen wollen mehr sein als nur Staffage, sie schaffen sich Räume an allen Autoritäten vorbei. Die Akteure der Subkultur marschieren dabei vorneweg. Sie entdecken Unorte, verwandeln sie in Clubs, Kneipen, Galerien und Gärten. Orte, an denen man gerne ist. Die Menschen machen einfach, sie probieren, sie testen. Und Beamte und Politiker hinken hinterher. Manchmal reagieren sie mit Phantomschmerzen ob der fehlenden Kontrolle – und sind dann doch begeistert. Und geben 30 Millionen Euro fürs Sanieren der Wagenhallen. Warum eigentlich? Da muss man Richard Florida fragen. Seit der Ökonom seine These von der „kreativen Klasse“ aufgestellt hat, welche die Städte gewinnen müssten, um eine Zukunft zu haben, ist Kultur jeglicher Art ein Standortfaktor. Nicht nur das. Die Hausbesetzer machen Kreuzberg sexy, die Autonomen der Roten Flora in Hamburg ziehen Touristen an, die Wagenhallen werten den Nordbahnhof auf. Der Stadtplaner David Harvey sagt, dass der Kapitalismus besonders jene Orte schätze und vereinnahme, die ihn kritisieren. Weil sie ihm etwas verleihen, was er nicht hat. Sie lassen ihn authentisch erscheinen. So hat die Stadt die Wagenhallen als „Zeitgenössisches in alten Mauern“, vermarktet, es gab eine Führung samt Sekt. Die Wagenhallen werden auch das Rosensteinviertel begehrter und damit teurer machen. Und wer den Österreichischen Platz aufwertet, wird dort Ähnliches bemerken. Gentrifizierung beginnt nicht erst mit dem Schickimickicafé, sondern mit der Punkkneipe.

Preisgekrönt und ausrangiert?

Damit setzt sich derzeit die Ausstellung Softpowerpalace im Kunstgebäude am Schlossplatz auseinander. Es stellen sich Menschen aus Sofia, Lyon, Mailand, Barcelona mit ihren Ideen und Konzepten vor. Angela Palacios und Quim Packard von Fireplace erleben in Barcelona, wie die Touristen die Strukturen ihrer Heimatstadt zerlegen, aus Mietwohnungen Ferienwohnungen, aus Tante-Emma-Läden Shops mit Tourikram werden, aus einem Zuhause eine Kulisse wird. Raum ist dort ähnlich knapp wie hier. Davon wissen die Stuttgarter Vertreter zu berichten. Eben Marco Trotta und Weiny Fitui vom Künstlerkollektiv Jacob 17, auch entstanden einstmals in den alten, ausgemusterten Waggons am Nordbahnhof. Weil die Bahn nicht wusste, was sie damit während der Wartezeit auf Stuttgart 21 machen sollte, ließ man Künstler einziehen und gewähren. Das ist nun auch schon fast 20 Jahre her. „Die erste Generation aus den Waggons zog in die Wagenhallen und gründete den Kunstverein“, sagt Trotta, „die zweite Generation gründeten Contain’t und Jacob 17, die dritte Generation könnte in die Container einziehen.“ Wenn denn die jetzigen Nutzer zurück in die Wagenhallen ziehen. Doch war nicht ausgemacht, die Container dann abzuräumen? Und muss man sich nicht an Vereinbarungen halten? „Dort ist mehr entstanden als nur ein Ausweichquartier“, sagt Pablo Wendel vom Kunstverein. Nämlich preisgekröntes Bauen. Ausgezeichnet mit dem deutschen Städtebaupreis. Und womöglich bestens geeignet für die Internationale Bauaustellung 2027. „Wir wirken in die Nachbarschaft hinein mit unseren Projekten“, sagt Wendel, die Jugendlichen von nebenan schauen oft vorbei. „Unsere Arbeit prägt eine Stadt“, sagt Trotta. Weil sie originell ist, eigen, sich dem Ort anpasst. Contain’t war einst in Bad Cannstatt, musste Wohnungen weichen, ist nun Untermieter beim Kunstverein in den Containern. Trotta würde gerne bleiben, kann sich aber auch vorstellen, weiterzuziehen. Es sei ja der Zweck des Vereins, immer wieder anderswo tätig zu werden. Man habe etliche Orte für Oper geprüft, „vielleicht ist da ja was für uns dabei“. Das Paketpostamt kommt ihm in den Sinn, da gab es schon zig Anfragen, das Regierungspräsidium ließ sich bisher nicht erweichen. Dort vorbei führt auch ein altes Gleis. Viel Raum gleich neben dem Park, „das wäre ideal“. Ausnahmsweise wären die Künstler froh, dürften sie dorthin gelangen – aufs Abstellgleis.