Fritz Kuhn hat dem Landwirt Michael Gehrung einen Besuch in Stuttgart-Plieningen abgestattet. Dabei ging es um den Frust über den Flughafen, die Messe und Stuttgart 21 – aber auch um die teils sehr negative Sicht der Bevölkerung auf die Landwirtschaft.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Plieningen - Es ist immer wieder aufs Neue ein skurriler Anblick: Hier Felder, Wiesen und Bäume, soweit das Auge reicht. In der Ferne ist die dörfliche Idylle Plieningens zu erkennen. Sieht man in die andere Richtung, dann rauschen dort Autos über die A 8, direkt dahinter heben im Minutentakt die Flugzeuge ab. „Früher ging unser Acker bis dorthin“, sagt der Plieninger Landwirt Michael Gehrung und zeigt auf das heutige Messegelände. „Wenn es so weiter geht, reicht der Acker nur noch bis zu unserer Haustür an der Echterdinger Straße, wenn ich einmal Enkel habe.“

 

Der Plieninger Bauer Michael Gehrung hat am Dienstag den Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) sowie weitere Mitarbeiter der Stadtverwaltung und des Stuttgarter Bauernverbands auf seinem Hof empfangen – inklusive einer Rundfahrt mit dem Traktor über die 26 Hektar, die die Gehrungs bewirtschaften. Bei dem Besuch ging es unter anderem um den Flächenfraß, den Bauern in der ganzen Republik beklagen – Michael Gehrung trifft es in Plieningen aber besonders hart: Der nahe gelegene Flughafen wurde über die Jahrzehnte immer größer, vor gut zehn Jahren kam die Landesmesse dazu und in den kommenden Jahren fallen auch noch vier Hektar Filderboden dauerhaft weg, weil die Deutsche Bahn diese für die Bauarbeiten für Stuttgart 21 benötigt. „Der Flächenverlust wird immer schlimmer“, sagt Michael Gehrung. „Und wir sind immer diejenigen, die darunter leiden.“

Landesmesse lässt ihre Ausgleichsflächen teilweise verkommen

Zumindest bezüglich einer Sorge kann Fritz Kuhn den Plieninger Bauern Michael Gehrung und seinen Möhringer Kollegen, den Landwirt Klaus Brodbeck, beruhigen: „Eine zweite Startbahn wird es am Stuttgarter Flughafen nicht geben. Der Flughafen plant lediglich einen Neubau des Terminals 4.“ Kuhn teilt auch die Meinung der Bauern, dass sich der Flughafen und die Messe nicht beliebig weiter ausbreiten können: „Dieses Wachstum muss irgendwann aufhören“, sagt er.

Für viel Frust unter den Landwirten sorgen die sogenannten ökologischen Ausgleichsflächen, die der Flughafen sowie die Messe schaffen müssen, wenn sie auf den Fildern bauen: Zuerst müssen die Landwirte Ackerböden für Bauprojekte hergeben, danach auch noch Flächen für Ausgleichsmaßnahmen. „Anfangs werden diese Flächen sehr akribisch geplant und nach fünf Jahren interessiert sich niemand mehr dafür“, urteilt der Möhringer Bauer und Vorsitzende des Bauernverbands, Klaus Brodbeck, und zeigt auf eine Fläche, die die Messe bewirtschaften sollte. Auf dem Filderboden wuchert teils meterhoch das Unkraut, teils sind Baumwiesen daraus geworden.

Stuttgarter Landwirte wollen die Flächen für sich

Ein weiterer Dorn im Auge der Bauern ist die Tatsache, dass mehrere Hektar Ackerfläche in Stuttgart an auswärtige Landwirte verpachtet sind. „In anderen Kommunen wie beispielsweise Filderstadt, Leinfelden-Echterdingen oder Scharnhausen ist das nicht so, da bekommt kein auswärtiger Bauer auch nur eine einzige Fläche“, sagt Helmut Gehrung, der Vater von Michael Gehrung. Er hat direkt einen Vorschlag parat: „Die Landwirte, denen wegen Stuttgart 21 Flächen weggenommen werden, sollten diese Flächen von den auswärtigen Landwirten bekommen.“ Die Vertreter der Stadtverwaltung entgegnen, dass seit Jahren keine Ackerflächen mehr an Auswärtige vergeben worden wären – allerdings wolle man sich dem Thema noch mal annehmen, verspricht Fritz Kuhn.

Generell hätten es die Bauern in Stuttgart schwer, sagt Gehrung: „Für die Bevölkerung sind wir nur diejenigen, die das Wasser vergiften, die Feldwege schmutzig machen und Gestank verursachen. Und die meisten kaufen nicht im Hofladen ein, sondern dort, wo es billig ist und wo sie abends um 22 Uhr noch alles bekommen.“ Sein Vater, Helmut Gehrung, bestärkt ihn: „Als kleiner Bauer kann man nicht mehr von der Landwirtschaft leben.“ Bei den Gehrungs läuft es so: Michael Gehrung und seine Frau Kerstin arbeiten beide vier Tage die Woche – er als Mechaniker, sie als Versicherungskauffrau – die übrige Zeit kümmern sie sich um die Äcker und den Hof. Die Eltern helfen mit, aber werden eben auch älter.

Fritz Kuhn widerspricht dem negativen Bild, das die Bauern zeichnen: „Die Landwirtschaft gehört zu Stuttgart und wir probieren das so gut wie möglich zu pflegen. Ich möchte auch nicht, dass Kinder in Stuttgart zum ersten Mal in der Wilhelma eine Kuh sehen.“ Gerade bei der drängenden Wohnungsnot sei es zwar ein Kampf, die Landwirtschaft zu erhalten – aber Stuttgart sei in der Beziehung deutlich aktiver als andere Städte: „In Frankfurt werden beispielsweise 60  000 Wohnungen auf dem Acker gebaut und dort interessiert sich niemand für die Klagen der Bauern.“ Das wäre in Stuttgart völlig anders, sagt er.