Rein rechnerisch kämen in Stuttgart-Plieningen 4300 Patienten auf die drei vor Ort verbliebenen Allgemeinmediziner. Das funktioniert nicht. Ein junger Arzt erzählt, was das für seinen Alltag bedeutet.

Plieningen - Wer neu nach Plieningen zieht, hat es nicht leicht, schnell einen Hausarzt zu finden. Die Praxen sind übervoll, viele Ärzte nehmen nur noch aus Kulanz Patienten auf. Einer, bei dem die Suchenden landen, ist Andreas Altvater, der seine Praxis an der Neuhauser Straße hat. „Dass in Plieningen ein Ärztemangel herrscht, ist nichts Neues, das ist schon seit sechs Jahren so“, sagt er. Damals hat der junge Arzt die Praxis von seinem Vorgänger übernommen.

 

Allerdings werde die Situation mit jedem Jahr prekärer: „Viele meiner Kollegen haben einen sogenannten Aufnahmestopp. So ist es auch bei mir in der Praxis – theoretisch. Praktisch lässt sich das natürlich nicht umsetzen“, sagt Altvater. Der Mediziner hat sich etwas anderes einfallen lassen: „Ich habe Plieningen quasi geografisch geteilt: Alle Menschen, die zwischen meiner Praxis an der Neuhauser Straße und dem Windhalmweg wohnen oder hier neu her gezogen sind, werden aufgenommen.“

Bei einem Notfall nehme der Arzt jeden auf, jedoch nur, bis die Behandlung abgeschlossen ist. Danach werde der Patient an einen anderen Arzt verwiesen. In Plieningen teilen sich drei Praxen die Aufgabe, kranke Menschen zu versorgen. Andreas Altvater, Sabine Schindler und Mathias Strobel. Diese Ärzte versuchen, so viele Patienten wie möglich aufzunehmen, und vertreten sich im Urlaub gegenseitig. „Es ist zusätzlich problematisch, dass ein Kollege mittlerweile an drei Nachmittagen geschlossen hat. Doch selbst wenn er immer geöffnet hätte, wäre die Situation nicht viel besser“, sagt Altvater.

Drei Arztpraxen für 4300 Plieninger

Schaut man sich das Problem in Zahlen an, so wird deutlich, dass der Ärztemangel in Plieningen kein subjektiver Eindruck ist. Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) sollten in der Stadt Stuttgart und damit auch im Bezirk Plieningen auf jeden Hausarzt ungefähr 1600 Patienten kommen. Geht man davon aus, dass alle Plieninger in ihrem Bezirk zum Arzt gehen, würden auf jeden der drei Hausärzte rund 4300 Patienten kommen. „Glücklicherweise weichen die Menschen aus Plieningen schon nach Birkach und Degerloch aus, ansonsten wäre die Situation noch prekärer“, sagt Andreas Altvater.

„Plieningen und Stammheim sind am schlechtesten versorgt“

Eine Lösung für das Problem sieht der Plieninger Arzt nicht. „Am besten wäre es natürlich, wenn ein neuer Arzt hier eine Praxis aufmachen würde, und von jedem 200 Patienten übernehmen könnte.“ Nur sei dies laut Altvater nicht ganz einfach: „Um eine Praxis aufzumachen braucht man Geld, das viele junge Ärzte nicht haben. Ohne feste Patienten in der Kartei bekommt man jedoch keinen Kredit bei der Bank“, erklärt er.

Laut der KVBW könnten sich in Stuttgart 41 weitere Hausärzte ansiedeln. Wo, ist den Ärzten überlassen. „Wir versuchen natürlich, damit zu werben, dass Ärzte sich in den besonders betroffenen Stadtteilen niederlassen. Jedoch hängt diese Entscheidung für jeden Einzelnen von vielen Faktoren ab, die wir nicht beeinflussen können“, sagt Swantje Middeldorff von der KVBW. Außerdem sei Stuttgart als Ganzes mit einem Ärzteanteil von 101 Prozent immer noch im annehmbaren Bereich. „Allerdings sind Plieningen und Stammheim am schlechtesten versorgt.“

„Eine Lösung ist nahezu unmöglich“

„Ich glaube, es ist eine ausweglose Situation“, sagt Andreas Altvater. Eine neue Praxis zu eröffnen sei immer auch ein finanzielles Risiko. Zudem spiele das Vertrauen der Patienten eine Rolle: „Ich kann ja auch nicht zur Hälfte meiner Patienten sagen: ‚Ihr geht jetzt zu dem neuen Arzt.‘ Patienten müssen sich ja bei ihrem Arzt wohlfühlen.“ Laut dem Mediziner würden viele Patienten lieber lange Wartezeiten beim Arzt ihres Vertrauens auf sich nehmen, als zu einem neuen Arzt zu wechseln: „Als Hausärzte kennen wir die familiären, sozialen und beruflichen Hintergründe der Patienten. Das schafft ein Vertrauensverhältnis, das unseren Patienten enorm wichtig ist.“

Altvater ist momentan auf der Suche nach einem Angestellten, der ihn wenigstens in Teilzeit unterstützt. „Doch das wird auch nur eine kurze Zeit helfen. Es ist einfach sehr schwer bis nahezu unmöglich, die Situation zu lösen“, sagt er.