Jedes Jahr kontrolliert die Stadt Stuttgart alle Grabmäler auf ihre Sicherheit. Teilweise sind die Beanstandungen aber fraglich, sagt ein Fachmann – und gibt Gert Leypoldt aus Stuttgart-Plieningen recht, der deswegen einen Brief von der Stadt bekommen hat...

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Plieningen - Menschen aus anderen Ländern müssen womöglich über diese Vorschrift schmunzeln: In Deutschland muss jeder Grabstein auf Friedhöfen einmal im Jahr auf seine Standfestigkeit hin untersucht werden. Damit soll sichergestellt werden, dass von den Grabsteinen keine Gefahr ausgeht und womöglich jemand von einem losen Stein verletzt oder gar erschlagen wird. Immer wieder kommt es auf Friedhöfen nämlich zu tragischen Unfällen. In der Praxis läuft der sogenannte Rütteltest so ab: Prüfer drücken und ziehen an der obersten Kante von jedem einzelnen Grabstein auf Friedhöfen. Macht ein Grabmal einen losen Eindruck, hält der Prüfer einen Apparat an den Stein, der die Bewegung digital dokumentiert.

 

Allein auf den 42 Friedhöfen in Stuttgart gibt es 157 000 Gräber, noch haben 60 Prozent davon stehende Grabmäler. Die Zahl nimmt ab, weil Urnen- und anonyme Bestattungen zunehmen. Außerdem liegen viele Grabsteine, sind also keine Gefahr für die Sicherheit. Laut der Stadtverwaltung wird in Stuttgart jedes Jahr die Standfestigkeit von etwa 70 Grabsteinen beanstandet.

„Der Stein hätte niemals umfallen können“, sagt der Fachmann

Auch auf dem Friedhof in Plieningen waren im späten Frühjahr Grabsteinprüfer unterwegs. Einer von jenen Steinen, die beanstandet wurden, steht auf einem Grab, um das sich der Ur-Plieninger Gert Leypoldt kümmert. In dem Grab liegt eine entfernte Verwandte von ihm und da es sonst keine Angehörigen gibt, kümmert er sich seit Jahrzehnten um die Grabstätte. „Im Mai erhielt ich einen Brief vom Garten- und Friedhofsamt der Stadt, dass das Grabmal beim Rütteltest leicht gewackelt hat. Innerhalb von vier Wochen müsste ich mich darum kümmern, sonst würde der Grabstein niedergelegt. Oder aber ich müsste das Grab aufgeben“, so Leypoldt.

Da er dies nicht wollte, beauftragte er den Plieninger Steinmetz und Bildhauer Markus Wolf. Der übernahm den Auftrag, stellte die Sinnhaftigkeit jedoch infrage: „Der stehende Stein war auf einem Natursteinsockel verdübelt und ich musste mit meinem Kran mit zwei Tonnen an dem Stein ziehen, um die Steinteile überhaupt voneinander zu trennen.“ Der Steinmetz wird noch deutlicher: „Der Stein hätte niemals umfallen können. Ein Fachmann hätte dies sofort spüren müssen.“ Trotz Dübel habe sich der Stein bei Belastung nur im Millimeterbereich bewegt. „Die Maßnahme war unnötig.“

Der Plieninger hat eine böse Ahnung

Gert Leypoldt, selbst pensionierter Physiklehrer, hatte genau dies geahnt und hat bei der Stadt daraufhin ein Messprotokoll angefordert. Dies hat er bis heute nicht erhalten. „Ein Mitarbeiter meinte, die Sache sei für die Stadt erledigt, nachdem sich Markus Wolf um den Grabstein gekümmert habe“, berichtet Leypoldt. „Aber darum ging es mir ja gar nicht.“

Er hat eine böse Ahnung, warum die Stadt ausgerechnet diesen Grabstein beanstandet hat. „Das Grab befindet sich auf dem alten Teil des Plieninger Friedhofs. Dort wird seit Jahren kein neues Grab mehr angelegt, aber die Familiengräber dürfen weiter genutzt werden.“ Er glaubt, dass die Mitarbeiter der Stadtverwaltung insgeheim gehofft hätten, dass er die Grabstätte seiner Verwandten aufgebe. „Das Grab grenzt an den neuen Friedhof und dazwischen gibt es eine Mauer. Ich vermute, dass die Stadt diese Mauer gerne abreißen oder sanieren würde – aber dafür müssen zunächst die angrenzenden Gräber aufgegeben werden, denn die sind im Weg.“

Die Stadt Stuttgart weist diese Vorwürfe von sich: „Eine Überprüfung durch Fachleute hat ergeben, dass der Stein in keinem einwandfreien Zustand war. Die Verdübelung war zwar noch vorhanden, trotzdem ließ sich der Stein auf dem Sockel bewegen. Wenn Wasser in den Bereich zwischen Stein und Sockel vordringt, kann der Stein im Winter bei Frost erheblich beschädigt werden. Dann kann er schnell zu einer Gefahr werden“, erläutert ein Pressesprecher.

Die Stadt weist die Vorwürfe von sich

Auch die Vermutung, dass die Stadt die Mauer zwischen dem alten und neuen Plieninger Friedhofsteil sanieren oder neu errichten will, verneint der Sprecher: „Da die Mauer denkmalgeschützt ist, ist ein Neubau ausgeschlossen und eine Sanierung sehr aufwendig und dementsprechend teuer. Deshalb wird die Stadt hier erst tätig, wenn von der Mauer eine Unfallgefahr ausgeht. Dies ist aktuell nicht der Fall.“

Bleibt also die Frage, wie gefährlich der Grabstein, um den sich Gert Leypoldt kümmert, tatsächlich und wie notwendig die Beauftragung des Steinmetzes Markus Wolf wirklich war. Die Einschätzung von eben jenem ist deutlich: „Es war keine sinnvolle Maßnahme. In Plieningen habe ich in der vergangenen Rüttelsaison insgesamt zwei solcher unnötigen Aufträge bekommen.“ Das Problem sei aber überall auf den Friedhöfen – auch außerhalb Stuttgarts – bekannt: „Dieser Rütteltest führt immer wieder zu Verärgerung“, meint Wolf.