Hier treffen Welten aufeinander, die sich auf den ersten Blick recht fremd sind. In einer Kirchengemeinde in Stuttgart-Plieningen tauschen sich Konfirmanden mit Geflüchteten aus. Das Projekt hat Modellcharakter, soll also Vorbild für andere sein.

Steckfeld - Hunderttausende Menschen sind – insbesondere in den vergangenen drei Jahren – aus ihren Heimatländern wie Pakistan, Syrien oder Afghanistan nach Europa und dort vor allem nach Deutschland gekommen, um ein besseres und vor allem sichereres Leben führen zu können. Wie aber ist diesen Menschen, die in Deutschland Zuflucht gesucht haben, die Flucht gelungen? Welche Gefahren und Mühen haben sie auf sich nehmen müssen? Was bedeutet es für diese Menschen, dass sie der Heimat den Rücken kehren und damit Familienangehörige und Freunde zurücklassen mussten? Wie erleben die Geflüchteten, die oft islamischen Glaubens sind, ihre neue Heimat, die dortigen Bräuche und Gepflogenheiten sowie die vorwiegend christlich geprägte Gesellschaft?

 

Diesen Fragen widmen sich zurzeit in der Kirchengemeinde im Steckfeld Konfirmanden, die im April durch die Segnung in einem feierlichen Gottesdienst ihren Übertritt ins kirchliche Erwachsenendasein vollziehen.

Modellprojekt soll Nachahmer finden

Thomas Ebinger, der im Pädagogisch-Theologischen Zentrum (PTZ) Stuttgart für die Konfirmandenarbeit zuständig ist und der nach immer neuen Ansätzen sucht, um die Arbeit mit den jungen Christen abwechslungsreich und nah an deren Leben zu gestalten, hatte die Auseinandersetzung der Konfirmanden mit dem Themenfeld Heimat und Flucht angeregt. In Daniela Reich, Pfarrerin der Steckfeldkirchengemeinde, fand Ebinger eine Partnerin für ein Experiment, das zu einem Nachahmermodell auch für andere Kirchengemeinden werden soll. Die Steckfeld-Konfirmanden haben sich daher nicht nur theoretisch und mit Informationen aus zweiter oder dritter Hand beschäftigt. Sie haben sich im Konfirmandenunterricht auch mit hier lebenden Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan getroffen, um sich im persönlichen Dialog mit Geflüchteten ein eigenes Bild davon zu machen, wie diese ihre aktuellen Perspektiven erleben, wie sie ihren Alltag meistern und welche teils traumatischen Erlebnisse sie auf ihrer Flucht sammeln mussten.

Sieben Stunden lang im Schlauchboot übers Meer

Obwohl sich die Teenager in der Vorbereitung auf das Treffen intensiv mit Flucht, Vertreibung und Heimat beschäftigt haben, finden sie es „voll krass“, wie es eine Konfirmandin ausdrückte, dass beispielsweise ein Jugendlicher im Alter von 15 Jahren all seine Freunde zurückgelassen hat und ohne Sprachkenntnisse nach Deutschland kam. Auch dass eine Mutter mit ihrer Tochter „ohne große persönliche Habe“ über die Türkei und über Griechenland vorwiegend zu Fuß und mit dem Bus nach Deutschland gelangt ist, können sie kaum fassen. Und auch, dass auf dem Weg das Meer zwischen der Türkei und Griechenland in einem Schlauchboot überquert werden musste – „wir waren sieben Stunden in dem Boot unterwegs“, so die Geflüchtete – war für die 13- und 14-Jährigen in ihrer heilen schwäbischen Welt unvorstellbar.

Freundlich aufgenommen und viel Hilfe erfahren

Umso erstaunlicher für die Konfirmanden, wie gut die jüngeren Flüchtlinge bereits Deutsch sprechen können und dass sie auch Pizza und Nudeln teils als Lieblingsessen haben. Obwohl die Lebenssituation der Geflüchteten oft nicht der von Deutschen entspricht, fühlen sie sich in Stuttgart nach eigenen Worten doch recht wohl. Einerseits, weil sie oft freundlich aufgenommen wurden und viel Hilfe erfahren haben, andererseits weil sie in Deutschland ihr Leben nicht in Gefahr sehen und eine Perspektive haben.

Auch wenn die Geflüchteten gerne in ihre Heimat zurückkehren würden, wenn die Perspektive auf ein sicheres Leben gegeben wäre. Seit seiner frühesten Kindheit, so ein Flüchtling aus Afghanistan, habe er Gewalt und Krieg erlebt. Daher habe er die Flucht auf sich genommen. Und er befürchtet, dass es vielleicht weitere Jahrzehnte dauert, bis sich das Leben so normalisiert, „dass ich dorthin zurückkehren kann“.

Nicht alle Regeln werden verbissen eingehalten

Der offene Dialog führte dabei auch vor Augen, dass es den Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und verschiedenen Glaubensrichtungen mitunter nicht ganz leicht fällt, Fragen zur Religiosität und zum Praktizieren des Glaubens zu beantworten. Es falle ihm schwer, wie im Islam gefordert, fünfmal am Tag zu beten, so der Flüchtling. Und auch die Pilgerfahrt nach Mekka könne man natürlich nur machen, wenn man das nötige Geld habe. Regelmäßig versuche er aber, in die Moschee zu gehen.

Ein Grinsen konnte sich da der eine oder andere Konfirmand freilich nicht verkneifen. Denn auch sie alle versuchen, mehr oder weniger regelmäßig die Gottesdienste zu besuchen. „Was aber auch nicht immer klappt“, wie Pfarrerin Daniela Reich schmunzelnd bemerkte.