Erst das ESxSW-Festival, jetzt ein passender Sampler: Die alternative Musikszene zeigt, dass Stuttgart nicht nur Hip Hop oder Elektro ist. Wir haben einen der drei Macher des Samplers "Von Heimat kann man hier nicht sprechen" interviewt. 

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Dass im Kessel und drumherum nicht nur in Sachen Hip Hop einiges abgeht, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Jetzt legt die Schiene Stuttgart-Esslingen in Sachen alternativer Musik nach - mit dem Sampler "Von Heimat kann man hier nicht sprechen", Untertitel: "13 musikalische Grüße aus der Wohnstadt Stuttgart".

 

Zwar gab es den Sampler, der nur auf Vinyl erhältlich sein wird, schon beim ESxSW-Festival im Komma in Esslingen Ende November zu kaufen. Offizieller Release ist aber erst jetzt, am Freitag - und zwar mit zwei Doppelkonzerten. Wo? Na klar, im Plattenladen, nämlich bei Ratzer Records und Second Hand Records.

Reinhold Buhr ist einer von drei musikinteressierten jungen Menschen, die den Sampler zusammengestelt und auf den Markt gebracht haben - seine Partner heißen Tobias Adam und Florian Stelzl. Den Sampler haben die Drei gemeinsam mit den Bands und einigen Sponsoren. Im Interview erzählt Buhr, wie die ganzen Noiserock-, Punk- und Psychedelic-Bands auf dem Sampler eigentlich zu Stuttgart stehen - und dass der Sampler womöglich ganz anders geheißen hätte als "Von Heimat kann man hier nicht sprechen".
 

Gibt es ein Vorbild für euren Sampler?
Wir sind alle musikinteressiert und Plattensammler. Aber es gibt kein Vorbild, dem wir nacheifern. Das kam aus sich selbst heraus. Die Idee für so einen Sampler, für eine Art Dokument der Zeitgeschichte gab es schon länger. Dann haben wir uns mal an einem Abend zusammengesetzt und gesagt “Wir machen das jetzt”. Und an dem Abend haben wir uns auch gleich überlegt, wer auf dem Sampler ist und wie wir das finanzieren.

Gutes Stichwort: Wie wuppt man so ein Platte?
Wir haben uns überlegt, wie wir das ohne Förderung aus öffentlichen Mitteln machen können. Das soll alles in einem bestimmten Kreis bleiben. Also haben wir Second Hand Records gefragt, Ratzer Records, außerdem das Komma, Treibender Teppich Records und die Konzertagentur Trash-A-Go-Go. Das sind unsere Hauptsponsoren. Und dann haben die auf dem Sampler vertretenen Bands noch einen Teil dazugegeben. Das, was wir jetzt einnehmen, wird dafür auch direkt an die Bands weitergeleitet.

Welche Auflage gibt’s?
Wir machen den Sampler in ner 500er-Auflage. Im Laden steht der für 12,90 Euro und die Bands verkaufen ihn für 10 Euro. So kriegen die Bands ihre Auslage zurück und verdienen auch ein bisschen was.

Das Cover des Samplers

Wie stark hängt der Sampler mit dem ESxSW-Festival zusammen?
Wir haben den Sampler im August geplant und gesehen, dass einige der Bands, die auf dem Sampler sind, auch bei dem Festival auftreten. Da dachten wir uns: das ist ein guter Aufhänger, den Sampler bei dem Festival schonmal zu verkaufen. Wir mussten uns auch ziemlich reinhängen, 150 Platten zu dem Festival zu kriegen. 45 davon sind direkt weggegangen. Und nach dem ESxSW waren einige Bands und Mitkuratoren schon mit dem Sampler auf Tour ...

… nach dem Motto: Spread the word?
Wir wollen mit dem Sampler zum einen ein Zeitdokument erschaffen. Zum anderen wollen wir die Bands promoten - und Veranstalter oder Labels darauf hinweisen, dass es in der Region Stuttgart viele interessante Bands gibt. Dass wir aus dem Dunstkreis, in dem wir uns ein bisschen befinden, herauskommen. Weil hier gerade was Besonderes passiert.

Wie das dann klingt

Wie würdest du das, was gerade passiert, umschreiben?
Zum einen haben die Bands in Stuttgart, Esslingen und drumherum diese Do-it-yourself-Mentalität: sie nehmen zu Hause ihr eigenes Zeug auf und bringen selbst Platten raus. Ständig bilden sich neue Combos; jeder spielt auch bei anderen Bands mit. Wir sind alle miteinander befreundet. Es entsteht viel auch außerhalb des Stuttgart-Mainstreams, den man kennt. Was hier abgeht, ist von Ausnahmen wie Die Nerven, Human Abfall oder Levin Goes Lightly außerhalb Stuttgarts ja nicht so groß bekannt.

Welchen Sound bildet der Sampler insgesamt ab?
Das ist schon vielschichtig; es gibt nicht den einen Sound, der sich durchzieht. Es ist ja nicht nur Deutschpunk. Das geht auch mal ins Folkige, mal ins Psychedelische. Wenn ich die Musik auf dem Sampler in Genres einteilen müsste, würde ich sagen: Lo-Fi, Noise, Trash, Garage, psychedelische Musik. Als wir uns zusammengesetzt haben und den Sampler zusammengestellt haben, gab es auch die Überlegung, einen reinen Punk-Sampler zu machen. Was herausgekommen ist, ist wie gesagt vielschichtig. Aber eben auch stimmig.

Fasst ihr den “Sound of Stuttgart” zusammen?
Zumindest unseren Sound of Stuttgart. Das ist aber kein Bandcontest-Sound, kein Wettbewerb, wer die meisten Fans hat oder mitbringt. Es geht um die Aspekte, unter denen man Musik macht. “Sound of Stuttgart” ist natürlich immer subjektiv. Für die einen wäre der “Sound of Stuttgart” Hip Hop. Klar, der ist immer noch da, aber das ist irgendwie ausgelutscht. Es gibt aber auch Punk, Lo-Fi und das psychedelische Zeugs. Das gibt es aber auch in anderen Städten. Insofern ist es nicht wie bei anderen Musikrichtungen unbedingt der Stuttgart-Sound, bei dem man sofort hört: der kommt aus Stuttgart.

Was bedeutet der Name “Von Heimat kann man hier nicht sprechen?”
Wir haben eine Umfrage unter den teilnehmenden Bands gemacht. Human Abfall haben den Vorschlag gebracht und das fanden dann alle am besten. Auf Platz zwei landete der Vorschlag “Die Pumpschwester vom Fernsehturm - 100% mehr Bizeps du Lappen”.

Stuttgart hat seine Szene nicht gern

Geht es auch um Abgrenzung von Stuttgart? Weil der Samplertitel ja auch impliziert, dass man gerade nicht Stuttgart als Heimat haben will.
Das Heimatgefühl ist vielleicht nicht bei allen da. Man kann glaube ich schon sagen, dass es in Stuttgart schwierig ist, mit unserer Musik größeren Anklang zu finden. Das merken wir auch an den Locations, die für diese Art von Musik in Frage kommen oder kamen. Der Konzertwaggon am Nordbahnhof war eine der wenigen Anlaufstellen, da ist es nicht so kommerziell. Ich weiß nicht, ob Stuttgart nicht bereit dafür ist oder den Leuten so eine Musik gar nicht angeboten wird. Das ist vielleicht auch der Grund, warum viele öfters mal weggehen aus Stuttgart.

Wo ist es denn besser?
Wenn ich von mir spreche, dann gibt es zum Beispiel Austin, die Musikhauptstadt der USA. Berlin ist wahrscheinlich schon einfacher als Stuttgart, weil es mehr Menschen gibt, die aus verschiedenen Sparten kommen und die individueller sind und sich für andere Musik interessieren. Was Die Nerven und Human Abfall machen, findet auch in Hamburg oder im Ruhrpott großen Anklang.

Aber eure Szene bleibt Stuttgart vorerst erhalten.
Viele sind mal ein halbes Jahr weg, aber die Musik wird hierbleiben. Das ist auch unser Ansporn, deshalb fühlen wir uns hier auch ein bisschen wohl: weil wir hier ja schon ein paar Leute um uns herum haben. Aber klar, wir existieren aus uns selbst heraus. Es kommt nicht so viel von außen.

Da muss ich jetzt nochmal nachhaken. Im Zollamt machen sie einen Bandwettbewerb, der in einen Stuttgart-Sampler münden soll; Chimperator laden gleich an zwei Abenden zu einem “Motherfuckin Xmas Festival” mit vorrangig Stuttgarter Acts ins LKA, und jetzt macht ihr auch einen Sampler mit “Heimat” im Titel. Warum suchen gerade alle nach dem Klang von Stuttgart? Die Stuttgarter Herkunft ist ja zumindest das verbindende Merkmal bei all den musikalischen Aktionen.
Wir wollten uns eigentlich von dem Lokalpatriotismus fernhalten. Deshalb auch der Samplertitel. Wir wollen nicht sagen “Die geile Musik kommt aus Stuttgart”, sondern wir zeigen die Musiker, die hier gefangen sind, die hier ein bisschen verloren sind. Wir wollen nicht die Mainstream-Musikszene zeigen und sagen “Stuttgart ist geil”.

Am 20. Dezember ist offizieller Release für euren Sampler. Gibt’s dazu ne Party?
Ja, am 20. Dezember gibt es in Stuttgart zwei Konzerte im Ratzer Records mit Melvin Raclette und JFR Moon um 14 Uhr und im Second Hand Records spielen abends um 19 Uhr Human Abfall und Peter Muffin. Da wird man dann die ganze Szene treffen können. Und natürlich den Sampler kaufen.