Die Landeshauptstadt sucht dringend Mitarbeitende – in praktisch allen Bereichen. Aber sie gibt auch Millionen dafür aus, dass Beschäftige früher gehen können. Wie passt das zusammen?

Das Lamento ist laut und läuft in Dauerschleife: Der Landeshauptstadt fehlen Mitarbeitende, und zwar in nahezu allen Bereichen. Frische Kräfte zu gewinnen ist schwierig, zudem nimmt die Aufgabenfülle zu. Ende 2021 genehmigte der Gemeinderat rund 900 neue Stellen, im Januar 2023 waren davon erst zwei Drittel besetzt. Die Personalgewinnung sei „eine unserer größten Herausforderungen“, bekennt Verwaltungsbürgermeister Fabian Mayer (41). Nicht nur 900, sondern 2600 neue Kräfte müsse man bis Jahresende einstellen, wenn man die Fluktuation hinzurechne.

 

Zulagen und Gehaltsstufen

Damit die Reihen in den Ämtern und Betrieben schneller geschlossen werden können, hat Mayer dem Gemeinderat diverse Verbesserungen von unbefristeten Arbeitsmarktzulagen vorgelegt. Sie reichen bis zur vorzeitigen Gewährung höherer Gehaltsstufen. So sollen auch mehr Quereinsteiger ins Boot finden. Das Gremium genehmigte das Paket zur Personalgewinnung einstimmig. Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann (CDU) trommelte vor wenigen Wochen in der fernen Partnerstadt Mumbai (Indien) um Kräfte für das Gesundheitswesen. Viele junge Inderinnen und Inder „möchten bei uns arbeiten, studieren oder lernen“, so Fuhrmann. Für das städtische Klinikum eine Chance, dem Mangel entgegenzuwirken. Insgesamt zählt die Stadt 1300 offene Stellen – bei insgesamt 14 200.

Manchmal sind die Anwerbeversuche mühsam, vor allem in Bereichen mit Bürgerkontakt. Beim städtischen Vollzugsdienst ergaben sich aus drei Runden acht neue Mitarbeiter – gleichzeitig schieden fünf aus.

Regelung über Tarifvertrag hinaus

Doch die Stadt arbeitet in dieser Mangellage nicht nur in Richtung auf neue Kräfte, sondern auch in Gegenrichtung. Sie befördert selbst frühzeitige Weggänge in immer größerem Umfang. Und zahlt dafür Millionen. Während die Gewerkschaft Verdi und die kommunalen Arbeitgeber um einen neuen Tarifvertrag ringen und Nahverkehr, Müllabfuhr und Bäder lahmgelegt werden, hat der Gemeinderat Mayers Vorschlag durchgewunken, die ausgelaufene Regelung zur Altersteilzeit einseitig über den 1. Januar 2023 hinaus zu verlängern. Sie gilt bis zum 31. Dezember 2024. Die großherzige Regelung soll Wartelisten für die begehrte Altersteilzeit vermeiden.

Zahl steigt seit Jahren an

Der Tarifvertrag begrenzt die Quote für die Altersteilzeit auf 2,5 Prozent aller Beschäftigten. Ein Anteil, der dem Andrang in Stuttgart lange nicht mehr standhält. 2021 hob der Gemeinderat die Quote auf 3,8 Prozent an. 2022 legte er auf fünf Prozent nach. Diese fünf Prozent sollen auch dann gelten, wenn die Tarifparteien sich wieder auf einen geringeren Anteil einigen sollten. Damit reagiere man auf die hohen Interessentenzahlen, die bald mit den Geburtsjahrgängen 1962 bis 1964 erwartet werden. 2022 gab es 281 Interessenten, für 2023 seien es 188, so Mayer Anfang März. Die Zahl der Altersteilzeit-Vereinbarungen steigt enorm: 2013 fanden sich 111 Kräfte in der Arbeits- oder Freizeitphase, 2018 waren es 212 und 2022 schon 451. Weniger als zehn Prozent davon wählten das Teilzeitmodell.

Aufwand bei rund zwei Millionen pro Jahr

Die Regelungen für den früheren Ausstieg aus dem Berufsleben scheinen vor allem für Beschäftigte im mittleren, gehobenen und höheren Dienst attraktiv. Altersteilzeit muss man sich leisten können: nur drei Beschäftige gehörten 2020 dem einfachen Dienst an. In allen Laufbahngruppen überwog der Frauenanteil mit rund 70 Prozent. Der Stadt entstehen durch die Altersteilzeit Mehrkosten von rund 750 Euro pro Fall und Monat, denn das Regelarbeitsentgelt wird um 20 Prozent aufgestockt, es fließen höhere Beiträge zur Rentenversicherung und Zusatzversorgungskasse.

Im Schnitt wählten Beschäftigte bei der Altersteilzeit eine Laufzeit von drei Jahren. Die Stadt rechnet dem Gemeinderat vor, das es „gewisse Einsparungen“ gebe, wenn vorzeitig eine neue, billigere Kraft die Lücke schließt. Der Mehraufwand verringere sich von 26 300 auf 13 400 Euro pro Fall. Pro Jahr zahlt die Landeshauptstadt rund 2,4 Millionen Euro, zehn Millionen Euro sind für Altersteilzeit im Haushalt zurückgestellt.

Gesundheitsmanagement wird vermisst

Der geförderte Aderlass sei ein wichtiger Faktor für die Arbeitgeberattraktivität, so die Stadt auf Anfrage. Man erhöhe so die Motivation der Mitarbeitenden und vermeide längere Krankheitsausfälle. „Das Modell ist attraktiv, wir liegen damit im allgemeinen Trend. Die Rente geht jetzt Richtung 67 Jahre, nicht jeder kann oder will der Arbeitsverdichtung bis dahin standhalten“, sagt die städtische Personalratsvorsitzende Claudia Häußler. Es zeichne eine gute Arbeitgeberin aus, „wenn es im Hinblick auf das Arbeitsende gute Lösungen gibt“. Häußler vermisst bei der Stadt ein Gesundheitsmanagement. Unbesetzte Stellen und Altersteilzeit hätten nichts miteinander zu tun. Die Misere fehlender Fachkräfte löse man „nicht damit, die Altersteilzeit zu verweigern“, sagt sie.