Es brodelt im Bezirksbeirat von Stuttgart-Sillenbuch. Die Fraktion SÖS/Linke-plus stellt Anträge über Anträge. Die anderen Parteien sind zunehmend genervt. Und auch der Bezirksvorsteher scheut sich nicht vor deutlichen Worten.

Sillenbuch - „Das ist doch nicht schlimm! Das tut doch nicht weh!“ Manfred Riesle will nicht so recht einsehen, warum sein Antrag nicht ankommt. Ihn interessiert, wie gut oder schlecht die Luft in Sillenbuch ist. Zwar herrschen auf den Fildern andere Verhältnisse als im Kessel, aber da ist auch der Verkehr. Daher beantragt der Bezirksbeirat von SÖS/Linke-plus, dass zeitnah Messungen zur Feinstaub- und Stickoxidbelastung vorgelegt werden. Beim Gremium fällt dieser Wunsch indes durch. Nur für einen seiner drei Anträge wird sich an jenem März-Abend eine knappe Mehrheit erwärmen.

 

Manfred Riesle wirkt unermüdlich. 2016 stellte er als Alleinkämpfer für die Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus laut Stadt sieben schriftliche Anträge und drei formale Anfragen in neun Sitzungen, dieses Jahr waren es bereits vier Anträge und eine Anfrage. Zum Vergleich: Von der CDU gab es laut Bezirksverwaltung 2016 drei Anträge und eine Anfrage, von der SPD zwei Anträge und eine Anfrage, Grüne und FDP hatten keinen Bedarf. Außerdem tat sich das Gremium für sechs interfraktionelle Anträge zusammen, zwei hatte Riesle zuvor angestoßen. „Ich bin engagiert. Mir ist es wichtig, die Themen anzusprechen“, sagt der gebürtige Sillenbucher.

Die SÖS/Linke-plus-Vertreterin stelle sich selbst dar

Im Gremium kommt der Eifer selten gut an. Augen rollen, demonstrativ wird gequasselt, nicht selten setzt es Wortgefechte. Die Gräben sind deutlich. Vor Kurzem warf Philipp Kordowich (CDU) Riesles Stellvertreterin Irene Kamm vor, „in Selbstdarstellungsweise auszuscheren“, als sie beantragte, was ähnlich schon da gewesen war. Und auch zwischen dem Bezirksvorsteher Peter-Alexander Schreck und Riesle knirscht es. Manche Themen würden „wider besseren Wissens“ aufs Tapet gebracht, obwohl im Bezirk weder eine Zuständigkeit noch ein Bedarf seien, sagt er. Eingeprägt hat sich Schreck der Antrag, Namensschildchen einzuführen. Die Idee fand keine Mehrheit, Riesle und Kamm stellen ihre Schilder dennoch wacker in jeder Sitzung auf. Das gehöre zur Transparenz, und die vermissen beide im Gremium. Zu vieles verschwinde in der Nichtöffentlichkeit. Riesle betont: „Es geht uns um Sillenbuch.“

Uns. Wir. Riesle und Kamm sprechen immerzu im Plural. Als Rätin in der zweiten Reihe darf Kamm zwar an Sitzungen teilnehmen, aber hat nur eingeschränktes Rede- und kein Antragsrecht, wenn Riesle selbst da ist. In der Vergangenheit ist das Duo mehrfach darüber hinweggegangen. „Man hat den Eindruck, sie gehört dazu, das tut sie aber nicht“, sagt Schreck. Er fühlt sich nicht ernstgenommen. Riesle hingegen betont: „Wir sind ein Team.“ Beide kennen sich aus der S-21-Gegenbewegung. Die 58-jährige Krankenpflegerin und der 65-jährige selbstständige Messebauunternehmer tragen stets ihre Statement-Broschen. Beide kandidierten 2014 erfolglos für den Gemeinderat.

Zusammenarbeit mit anderen gibt es kaum

Mit anderen Räten ist die Zusammenarbeit weniger eng. Ulrich Storz (SPD), seit 1987 dabei, hat den Neuen, die 2014 hinzustießen, angeboten, Themen zu besprechen, bevor sie unnötig oder wiederholt auf die Tagesordnung kommen. „Man könnte Dinge ruhiger und zielorientierter auf den Weg bringen und müsste sich oft nicht an den falschen Stellen ereifern“, findet er. Gebrauch wurde davon nicht gemacht.

Angst vor der Redundanz hat die Stadt-SÖS/Linke-plus offenbar nicht. 2016 schlugen Anträge zu den Themen Luftschadstoffbelastung und Lärmaktionsplan zunächst wortgleich flächendeckend in Bezirksbeiräten und schließlich im Gemeinderat auf. Der Sillenbucher Bezirksvorsteher Schreck spricht von Aktionismus und einer „Beschäftigungstherapie für die Verwaltung“, da Steuergelder verbraucht und Fachleute gebunden würden. Riesle hält dem entgegen, dass viele Themen eben viele beträfen, abgekartet sei da nichts – obwohl sich in der Geschäftsstelle Renate Winter-Hoss zu einer „konzertierten Aktion“ und „politischen Strategie“ bekennt. Bei der Stadt rechnet man mit 60 Euro für eine Arbeitsstunde eines Sachbearbeiters, für Komplexes gehen schon mal Tage drauf. Riesle findet: „Die Staatsbeamten sind für die Bürger da.“

Scharmützel würden Schlagkraft gefährden

Alles in allem sieht Schreck die Schlagkraft des Gremiums durch Scharmützel – egal, von welcher Seite – geschwächt. Nur einstimmige Beschlüsse hätten eine starken Außenwirkung. Kordowich formuliert es allgemein: „Wenn sich alle etwas zusammenreißen würden, könnte man die Sitzungen effizienter hinbekommen. Mit durchschnittlich 3,5 Stunden sind wir schon recht lang unterwegs.“

Ein bisschen scheint Riesle sich als Außenseiter zu gefallen, wenn er grinsend sagt, „bei manchen Dingen weiß ich im Voraus, ich werde Gegenwind bekommen“. Dennoch wünscht er sich mehr Neutralität. Nicht jeder müsse seine Meinung teilen, solle sie aber respektieren, „und wenn andere nicht meiner Meinung sind, müssen sie bessere Argumente bringen“.