Wie gut kommen Behinderte in Stuttgart-Sillenbuch zurecht? Dieser Frage ist man jüngst nachgegangen. Auf Erkundungstour mit Leuten, die hier noch einigen Verbesserungsbedarf sehen.

Sillenbuch - Die Ernüchterung am Ende des kleinen Rundgangs zum Thema Barrierefreiheit ist groß – nicht nur bei Sillenbuchs stellvertretendem Bezirksvorsteher Hans Peter Klein. „Das hatte ich mir so nicht vorgestellt“, gibt er offen zu, nachdem bei einem Spaziergang mit Rollstuhlfahrern und Sehbehinderten offenbar geworden ist, wie viele Gefahren für Menschen mit Einschränkungen in Sillenbuchs öffentlichem Raum lauern. Der bislang ehrenamtlich tätige Behindertenbeauftragte der Landeshauptstadt Walter Tattermusch ist indes wenig überrascht: „In anderen Stadtbezirken sieht es nicht viel besser aus“, sagt er.

 

Bei dem Rundgang, an dem sich viele Bürger beteiligen, wird deutlich: Die als Meile bezeichnete Kirchheimer Straße ist alles andere als barrierefrei. Im Gegenteil: Die flankierenden Fußgängerbereiche der Hauptverkehrsader sind voll von Hindernissen für Menschen, die sehbehindert oder auf Hilfsmittel wie Rollatoren oder Rollstühle angewiesen sind.

Tiefhängende Plakate stellen eine Gefahr dar

Hohe Bordsteinkanten lassen das Überqueren von Straßen für Rollstuhlnutzer bisweilen zum Abenteuer werden; mangels akustischer Signale können sich Blinde an Kreuzungen mit Ampeln nur schlecht zur anderen Straßenseite orientieren. Tief hängende Plakate an Laternenmasten werden zu Gefahren für Blinde, außerdem drohen in den Weg ragende Mülleimer zu Stolperfallen zu werden. Und manche Sitzbank fällt als gemeine Barriere negativ auf. Auch seien Bänke oft nur für großgewachsene Menschen geeignet. „Kinder und kleine Leute haben oft Schwierigkeiten, sich hinzusetzen“, verdeutlicht die Stuttgarter Behindertenbeauftragte Simone Fischer an einer Bank vor einem Eiscafé. Die kleinwüchsige Frau empfiehlt daher: „Installieren Sie Bänke mit verschiedenen Sitzhöhen.“

Auf dem kurzen Weg von der Liliencron-Apotheke bis zur Deutsch-Französischen Grundschule reiht sich Hindernis an Hindernis: Mal sind es Schlepptreppen, deren Höhe sich in Längsrichtung verändert, die ohne Randmarkierungen kaum erkannt werden und gefährliche Stürze zur Folge haben können. Mal ragen Radständer in den Gehsteig, mal werden Kundenstopper zu Hürden. Den Betroffenen und ihren Fürsprechern von Vereinen und Verbänden fällt zudem auf, dass es keinerlei Leitsystem für Sehbehinderte gibt. Der Eingang zur Stadtbahnhaltestelle „Sillenbuch“ ist wie der Zugang zum Aufzug zwischen Tuttlinger Straße und Eduard-Steinle-Straße für Blinde ohne Hilfe kaum zu finden. Wegen der Sturzgefahr beim Abgang zur Stadtbahn scherzt Tattermusch: „Zum Glück gibt’s in der Nähe eine Apotheke.“

Startschuss für einen offenen Dialog

Der Rundgang ist laut Hans Peter Klein der „Startschuss für einen Dialog“ gewesen, damit auch „Menschen ohne Behinderung erkennen, was es für kritische Punkte am Ort gibt“. Er fand auf Initiative der SPD-Fraktion statt. Diese hatte Ende 2016 beantragt, sich einen Überblick über bestehende Barrieren im Stadtbezirk zu verschaffen. Für Tattermusch eine gute Sache, denn es gehe vor allem darum, „Aufmerksamkeit zu erregen und Problembereiche zu erkennen“.

Bei der Diskussion in der Deutsch-Französischen Grundschule im Anschluss an den Rundgang betonen die Teilnehmer, wie eindrücklich dieser war. Fraktionsübergreifend wird angeregt, eine Liste zu erstellen um darin alle Punkte zusammenzufassen, die vor Ort aufgefallen sind. In dieser sollen aber auch Hinweise von Bürgern aufgenommen werden. Weitere Gefahrenstellen, so Klein, könnten Bürger auch direkt im Bezirksrathaus melden. Und Salvatore Ciminnisi von der Sillenbucher Meile regte an, mit Infoständen bei Veranstaltungen auf die Gefahren aufmerksam zu machen.

Gute Ideen möglichst abkupfern

„Was schnell und günstig gemacht werden kann“, so der SPD-Bezirksbeirat Ulrich Storz, müsste auch zügig umgesetzt werden. Knut Krüger (FDP) mahnte aber, das Rad nicht neu zu erfinden, sondern „gute Ideen abzukupfern“. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Philipp Kordowich hat einen „neuen Blick“ für Hindernisse bekommen. Was ihn – bei allen Mängeln auf der Meile – aber besonders stört: „Unser Bezirksrathaus ist ein großer Schandfleck in Sachen Barrierefreiheit.“ Es sei absolut nicht behindertengerecht. Das sieht auch das Gesamtgremium so. Manfred Riesle (SÖS/Linke-plus) regt daher erneut die Einführung eines Bürgerkoffers an. So könnten Menschen mit Behinderungen auch abseits des Rathauses kommunale Dienstleitungen in Anspruch nehmen.