Stuttgart steht vor neuen Schulden Die fetten Jahre sind vorbei
2018 wurde die Schuldenfreiheit gefeiert, nun steht die Landeshauptstadt vor einer Zeitenwende. Aufgabenkritik und Prioritätensetzung müssen endlich angegangen werden.
2018 wurde die Schuldenfreiheit gefeiert, nun steht die Landeshauptstadt vor einer Zeitenwende. Aufgabenkritik und Prioritätensetzung müssen endlich angegangen werden.
Krise in der Autoindustrie, Krise bei den Zulieferern, Krise am Bau. Bisher schien die Landeshauptstadt gegen die in dichterem Takt eingehenden Hiobsbotschaften immun. Seit 20 Jahren ist der Haushaltsüberschuss neunstellig, 2023 schrieb man mit 792 Millionen Euro einen Rekord. Doch seit 2023 ist auch klar, dass die Stadt sich übernimmt. In der mittelfristigen Planung stehen absurde 3,3 Milliarden Euro neue Schulden. Diese Summe kann man unter Realitätsverlust verbuchen. Doch nun ändern sich die Vorzeichen rasant. 2025 droht ein Minus von 800 Millionen Euro.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Noch ist Stuttgart liquide, die Stadt hat – allerdings gebundene – Rücklagen, sie schiebt eine Milliarden-Bugwelle finanzierter Investitionen vor sich her, sie gibt wichtige Impulse an die Wirtschaft. Aber sie sitzt auch längst überfällige Entscheidungen aus.
Zur Verabschiedung des Etats 2024/2025 mahnte Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) „Ausgabendisziplin und haushälterische Solidität“ an. Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann (ebenfalls CDU) sprach von „zwingenden Maßnahmen zu einer nachhaltigen Haushaltsplanung“. Eine Einschätzung, die die Rechtsaufsicht teilt.
Geschehen ist in der Sache in den vergangenen 365 Tagen so gut wie nichts, eher im Gegenteil. Ein Beispiel: Den Aufschlag von neun Euro auf das schon kostenfreie Deutschlandticket wird die Stadt 2025 für alle Beschäftigen übernehmen. Wegen der paar Millionen Euro wollte niemand einen Konflikt riskieren. Das ist nicht die Stärke dieser Verwaltung, die bisher fast jedes Problem mit Geld zuschütten konnte. Es ist auch nicht die Stärke des Gemeinderates, der sich an fette Jahre wie an ein Naturgesetz gewöhnt hat. Sparen? Lange her, hat man verlernt.
In dieser Woche hat die Verwaltung darüber informiert, dass „umgehende Gegensteuerungsmaßnahmen“ nötig seien – und hat dann doch zu den üblichen Maßnahmen gegriffen: globale Minderausgabe und Haushaltssperre. Das bringt vielleicht 100 Millionen Euro. Mit Aufgabenkritik und der überfälligen Prioritätensetzung bei den unzähligen Investitionsvorhaben wollte man noch zuwarten, bis Herbst 2025 für die Vorbereitung des nächsten Doppelhaushalts. Jedem dürfte klar sein, dass das zu spät ist.
Die Streichliste bei den Investitionsvorhaben muss bis zur Sommerpause stehen, ohne Tabus. Wenn Pflicht vor Kür geht, Schulen und bröckelnde Brücken saniert werden müssen, wird es auch den Kulturbereich treffen. 120 Millionen Rücklagen sind für diesen da, allein die Interimsoper könnte 300 Millionen kosten. Es heißt also Abschied nehmen, zum Beispiel vom Neubau der Schleyerhalle, einem Konzerthaus, dem Haus der Kulturen, der Erweiterung des Lindenmuseums. Die Liste ist nicht vollständig.
Bei den Stellen will die Verwaltungsspitze vorerst nicht kürzen. Dabei hat Stuttgart in Kernverwaltung und Eigenbetrieben seit 2018 nicht weniger als 3600 neue Stellen geschaffen – ein Plus von 28 Prozent in nur sieben Jahren. Die Schlangen vor den Schaltern sind seitdem nicht kürzer geworden, drei Bürgerbüros wurden geschlossen.
Werden die Mitarbeitenden falsch eingesetzt, nährt sich die Verwaltung selbst? Auch dafür gibt es Beispiele. In Bebauungsplänen werden akribisch Bepflanzungspläne erarbeitet, die später niemand überprüft. Zum Klimaschutz wurden zahlreiche Kleinstförderprogramme für neue Kühlschränke, Waschmaschinen, Geschirrspüler oder Balkonsolaranlagen aufgelegt. Letzte amortisieren sich ohne Förderung in kürzester Frist. Im üppigen Subventionsgarten blüht der Wildwuchs. Auch da muss die Verwaltungsspitze ran.