Lokale und bundesweite Initiativen senden Hilferufe und warnen vor dem Aussterben der Tangokultur. Die Szene lädt am Mittwoch, 3. Juni, um 11.55 Uhr zu einer Aktion auf dem Rathausplatz ein. Es gibt ein kleines Programmen und eine Petition wird überreicht.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-Süd - Der Tango Argentino ist eine getanzte Umarmung unter Fremden – also derzeit ein absolutes No-Go. Deshalb liegt die Szene seit Anfang März auf Eis – und geht es so weiter, auch bald auf dem Friedhof der schönen Erinnerungen, fürchtet Liane Schieferstein. Die Tangolehrerin unterrichtet 180 Schüler in ihren beiden Studios – dem Lalotango an der Böblinger Straße und dem Cielo im Eiernest. Ist kein Unterricht, vermietet sie ihre Räume an diverse Tanz-, Yoga- und sonstige Gruppen, an Privatleute oder Firmen, die Mitarbeiter coachen.

 

Kritischer Abstand

Jetzt bleiben die Gastnutzer und die Schüler aus, die Mieten laufen weiter. Es könne sie nur noch ein plötzlicher Geldsegen retten, sagt Liane Schieferstein und hat einen Spendenaufruf gestartet. Sie braucht 18 000 Euro, um die Räume halten zu können. „Wenn die Räume erst mal weg sind, war es das. Ich finde keine neuen, die ich bezahlen kann. Die Mieten sind ja explodiert.“ Momentan, so die Soloselbstständige, dürfe sie nur an Einzelpaare vermieten, die Corona ohne Tango nicht aushalten. „Die neue Tanzverordnung ist ein Desaster!“, klagt sie. „Was daran besonders fies ist: Die Berufsausübung ist an den Beziehungsstatus gebunden. Ich darf meinen Tanzpartner nur berühren, wenn ich mit ihm zusammen lebe. Das ist bei mir aber nicht der Fall!“ Mit 1,5 Metern Abstand zu ihrem Tanzpartner könne sie ihren Schülern nichts demonstrieren. Schieferstein überlegt, ob sie rechtlich gegen diese Benachteiligung vorgeht.

Immerhin weiß die 45-Jährige: Sie ist nicht allein in ihrem Überlebenskampf. Mit den Schulen Tangoloft, Tangosalon Stuttgart und dem Ocho hat sie sich zusammengetan, um sich für den Erhalt der lokalen Tangoszene stark zu machen. Denn diese ist besonders, erklärt Schieferstein. Stuttgarts Tangoszene sei neben der in Berlin die älteste und aktivste deutschlandweit. „Auch international hat Stuttgart einen hervorragenden Ruf. Das Tanzniveau hier ist sehr hoch.“ In normalen Zeiten könne man an sieben Abenden in der Woche irgendwo Tango tanzen. Für eine Stadt dieser Größe sei das beachtlich.

Tango als Kunstform

Die Stuttgarter Tango-Schulen fordern von der Stadt Unterstützung, um ihre Tanzkultur am Leben halten zu können. Da geht es zunächst um den Erhalt der Locations in Anbetracht horrender Gewerbemieten. Da der Tanzbetrieb wohl noch längere Zeit eingeschränkt bleiben wird, wünschen die Tangoveranstalter finanzielle Unterstützung, die über die Corona-Soforthilfe hinausgeht. Und sie hätten gerne einen festen Ansprechpartner bei der Stadt für ihre Belange, der ihnen unter anderem konkret sagen kann, welche Folgen neue Verordnungen für ihr Tagesgeschäft haben. Des Weiteren stellen sie in einem gemeinsamen Papier Forderungen auf, die sich mit denen einer neuen bundesweiten Tango-Initiative decken: Steuerbefreiung für Spenden und Aufnahme von Tangolehrern in die Künstlersozialkasse, denn „die Kunst der tänzerischen und musikalischen Improvisation steht beim Tango-Unterricht immer im Vordergrund“, schreiben die Stuttgarter Tango-Lehrer.

AKTIONSTAG:

Schieferstein sieht bei aller wirtschaftlichen auch die menschliche Not in der tanzlosen Zeit: „Einsamen Menschen, die sowieso keine Berührungen erleben, wird auch noch dieser Bereich verwehrt. Ich war selber lange Single und weiß, wie viel mir der Tango in dieser Zeit bedeutet hat.“

Eine bundesweite Initiative, mitbegründet von der Stuttgarter Tangoszene während der Pandemie, setzt sich für finanzielle Hilfen und bessere politische Konditionen ein. In ihrer Petition dazu argumentiert die Initiative: Der Tango Argentino zähle seit 2009 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Es sei daher von öffentlichem Interesse, seinen Protagonisten in Deutschland eine wirtschaftliche Zukunft zu ermöglichen. Zu den konkreten Forderungen gehören: zusätzliche Soforthilfen, Aufnahme in die Künstlersozialkasse, steuerliche Erleichterungen bei Spenden, Betriebsausgaben und bei der Umsatzsteuer.

Die Tango-Initiative plant am Mittwoch, 3. Juni, um 11.55 Uhr bundesweit Aktionen auf Rathausplätzen – auch in Stuttgart. Begleitet von kleinen Kulturprogrammen soll dabei die Petition „Weltkulturerbe Tango Argentino retten“ an Vertreter der Städte und Kultusministerien übergeben werden.