Tanzen als große Mitmachaktion – Eric Gauthier macht’s mit dem Tanzfestival Colours vor. Ein Genuss, den grauen Marktplatz so bunt zu sehen, findet Lokalchef Jan Sellner

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Gauthier ist in der Stadt. Das ist der gebürtige Kanadier eigentlich immer oder zumindest häufig: In diesen Tagen kann man ihn aber nicht übersehen. Mit seinem Internationalen Tanzfestival Colours vom 6. bis zum 23. Juli taucht der Tänzer, Entertainer und Stuttgart-Liebhaber die Stadt in Farbe. Colours steht für den Spagat zwischen Spitzenballett und Amateurtanz, für das Neben- und Miteinander von Tanzkunst und Tanzversuch. Gauthier trägt die Faszination des Tanzes in die Breite. Er will die Stadt in Bewegung versetzen, sie zum Tanzen bringen.

 

Das gelingt dem 40-Jährigen auf spielerische Weise. Wer am Freitagnachmittag in die Nähe des Marktplatzes kam, dem schlug die positive Energie mehrerer Hundert tänzelnder Stuttgarter entgegen, – wenn er nicht gleich selbst mitgerissen wurde. Menschen jeden Alters und von unterschiedlicher Beweglichkeit machten mit beim sogenannten Warm-up für das Colours-Festival, wippten zu Hip-Hop, Zumba oder Salsa. Anfangs zögernd, dann ausgelassen. Wie in der Eröffnungsszene zum Film „La La Land“, wo Autofahrer das Warten im Stau mit Tanz überbrücken und sich die Asphaltschneise in eine Bühne verwandelt. Stuttgart war am Freitag eine La La Stadt. Ein Genuss, den grauen Marktplatz so bunt zu sehen.

Ballett im Park – kostenloser Zugang zur Tanzkunst

Tanzen als Groß- und Massenereignis, ohne Schranken und Berührungsängste. Darauf versteht sich Gauthier inzwischen auch virtuell. Unter dem Namen „Dance for Good“ startete er eine „Tanzkette“, die um die Welt reichen soll. Jedermann und jede Frau ist eingeladen, einen persönlichen Tanzclip ins Internet einzuspeisen (www.danceforgood.de). Pro Tanzfilmchen gibt die Mercedes-Bank fünf Euro für ein Theaterprojekt für Menschen mit Behinderung. Ein schönes Beispiel für die Verknüpfung von Tanz und gesellschaftlichem Engagement. Wie auch Gauthiers Projekt für Kinder in der Wilhelma – eine spielerische Hinführung zum Tanz im Rhythmus der Tiere. Und klar, etwas Traumtänzerei ist immer auch dabei. „Tanzen ist Träumen mit den Beinen“, sagt ein Sprichwort aus Finnland.

Um die Tanzstadt Stuttgart macht sich natürlich nicht nur Eric Gauthier verdient. Vorweg sind das berühmte Stuttgarter Ballett und die John-Cranko-Schule zu nennen. Mit der Veranstaltung Ballett im Park – diesmal am 8. und 9. Juli – haben die beiden Stuttgarter Tanz-Institutionen einen kostenlosen Zugang zur Tanzkunst in die Stadtgesellschaft hinein gelegt. Der große Zuspruch zeigt, dass das Angebot einen Nerv trifft.

„Mensch lerne tanzen“

Das gilt auch für andere Tanzformen: Gesellschaftstänze, Bälle wie der Ball der Nationen, die Tango-Donnerstagabende vor der Staatsgalerie, junge Performances, alte Schwoofs – da ist ziemlich viel in Bewegung. Das haben auch Passanten festgestellt, die am Dienstag in der Geißstraße von einer spanischen Tänzerin überrascht wurden, die für ein Tanzvideo mal eben durch Stuttgart wirbelte. „Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel nichts mit dir anzufangen“, riet der Kirchenvater Augustinus. Eine zeitlose Wahrheit. Stuttgart scheint sie zu beherzigen. Jedenfalls kann keiner mehr behaupten, die Stadt sei stocksteif.

jan.sellner@stzn.de