War sie ein Todesengel? In dem Stuttgarter „Tatort“ „Anne und der Tod“ sind die Ermittler von Anfang an sicher, dass die Altenpflegerin zwei Senioren auf dem Gewissen hat. Auch wenn der Krimi nicht sehr spannend ist, hat die Wendung am Schluss doch überrascht.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Was taugt „Anne und der Tod“ aus Stuttgart? Der neue „Tatort“ mit Richy Müller und Felix Klare im Schnellcheck.

 

Die Handlung in zwei Sätzen Zwei pflegebedürftige Senioren sterben überraschend. Die Stuttgarter Ermittler Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) sind überzeugt, dass die Pflegerin Anne Werner (Katharina Marie Schubert) nachgeholfen hat, um an das Geld der alten Herren zu kommen.

Zahl der Leichen Zwei – wobei die Kommissare sicher sind, dass es mehr werden könnten, wenn sie aus der Pflegerin nicht bald ein Geständnis herauspressen.

Bedenkenswert „Wenn auf jedem Grab eines Mordopfers eine Kerze brennen würde, dann wären unsere Friedhöfe hell erleuchtet“, behauptet die junge Ärztin nach der Obduktion, was die Polizei hellhörig werden lässt. Werden so oft ältere Angehörige um die Ecke gebracht?

Schnitttechnik Wie war der Opa, „der alte Grantler“? „Die einen sagen so, die anderen sagen so“, meinen die Angehörigen über ihren alten Herrn, dem sie keinen Träne hinterher weinen. Die Pflegerin sah das anders. Die widersprüchlichen Kommentare bei den Ermittlungen werden scharf gegeneinander geschnitten, was in den etwas müde daherkommenden Krimi im ersten Teil etwas Schwung bringt.

Können Katharina Marie Schubert ist die Idealbesetzung der Hauptfigur. Sie überzeugt in jeder Minute als bodenständige, allein erziehende Mutter, die andere allerdings gern ausnutzen. Sehenswert und erschütternd zugleich, wie sie sich die Machenschaften ihres missratenen Sohnes schön redet. Der schämt sich nicht mal, Muttis Kreditkarte heimlich zu nutzen.

Unschuldsvermutung Von wegen. So groß die Zweifel sein mögen („Ich kann sie nicht ewig festhalten“), einer der Ermittler ist immer überzeugt, dass Anne Werner schuldig ist. Sie bestärken sich gegenseitig, an dem Fall dran zu bleiben – und treiben die Verdächtige wie ein armes Tier immer weiter in die Enge.

Sozialreportage Eigentlich ist das Aufgabe einer Fernsehreportage, was diesmal der „Tatort“ nebenbei übernimmt: Einblicke in die Arbeitswelt von mobilen Pflegekräfte zu geben.

Glücksmomente Die Ehefrau hat ihren Gatten auf Diät gesetzt. Sie will es richtig machen – und serviert dem bettlägerigen alten Herrn nur das, was der Arzt erlaubt hat. Gut gemeint, aber die Sympathien sind in diesem Moment alle bei der Pflegerin Anne. Denn die bringt ihrem Patienten heimlich vorbei, was ihn glücklich macht: Schnaps, Pralinen, Blutwurst. Letzteres mag Geschmacksache sein, warum aber sich kasteien und kleine Freuden versagen?

Intim Allzu genau will man eigentlich gar nicht wissen, was in der Körpermitte der männlichen Patienten stattfindet, wenn die Pflegerinnen sie waschen. Aber der Regisseur Jens Wischnewski wollte offensichtlich zeigen, wie die Realität ausschaut. Entsprechend erschütternd ist auch Falk Rockstroh als abgewrackter Dirigent, der an der Atemmaske hängt, um weiterhin rauchen zu können.

Dynamik Im Grunde ist es ein Kammerspiel. Die übrigen Verdächtigen spielen kaum eine Rolle, die kurzen Rückblicke in den Pflegealltag sind ernüchternd – und Pfeffer bekommt der Stoff nur durch die wackeren Versuche der Beschuldigten, sich immer wieder den Unterstellungen und Anschuldigungen zu erwehren.

Unser Fazit Richtig spannend ist dieser „Tatort“ definitiv nicht, dafür sitzen die beiden Kommissare zuviel am Tisch, um die Hauptverdächtige zu verhören. Interessanter ist letztlich, mit den eigenen Vorurteilen und Klischees konfrontiert zu werden, die man im Kopf hat: Sind Pflegerinnen immer ausgebeutete Opfer? Und grapschen alle alten kranken Männer?

Spannung Note 3; Logik Note 2