Stuttgart habe München als teuerste deutsche Großstadt für Mieter überholt, hat eine Studie ergeben. Doch in der bayerischen Hauptstadt gibt es größte Bedenken gegen die von dort eingeflossenen Zahlen. Im Statistischen Amt der Stadt Stuttgart runzelt man auch die Stirn.

Stuttgart - Das Staunen ist groß, und besonders im linken politischen Lager und beim Mieterverein werden alle Alarmglocken geläutet. Der Grund: Für die Mieter sei Stuttgart jetzt die teuerste Großstadt der Republik, nun noch vor München, will das Hamburger Forschungs- und Beratungsunternehmen F+B bei einem Vergleich von 351 Orten mit Mietspiegeln herausgefunden haben. Daher prasselt auf OB Fritz Kuhn (Grüne) massive Kritik ein. Allerdings ist nach Informationen unserer Zeitung größte Vorsicht geboten, was den Vergleich von München und Stuttgart angeht.

 

„Wie ernst die Stuttgarter dieses Ergebnis nehmen müssen? Nun, sie sollten das genauso wenig ernst nehmen wie den Münchner Mietspiegel“, sagte Rudolf Stürzer, der Vorsitzende von Haus und Grund München, am Freitag unserer Zeitung. Der Verein von Immobilieneigentümern klagt, in der von SPD-OB Dieter Reiter geführten Stadt München würden „aus politischen Gründen“ die Mietspiegel-Werte gedeckelt. Speziell der im Frühjahr erschienene Mietspiegel 2019, den die Firma F+B heranzog, ist nach Stürzers Überzeugung „noch unrealistischer“ als die vorausgegangenen Mietspiegel. Demnach würden nämlich „80 Prozent aller Mieten“ unter den Preisen des Mietspiegels 2017 liegen. Stürzer: „Ich würde sagen, in Wirklichkeit ist keine einzige Wohnung billiger geworden.“

Statistisches Amt der Stadt Stuttgart hat Bedenken

Zweifel an der Wachablösung Münchens hat man auch im Statistischen Amt der Stadt Stuttgart. „Es ist nicht so, dass wir die Studie diskreditieren und eine unliebsame Entwicklung bestreiten wollten“, sagt Lucas Jacobi dort. Wenn man die F+B-Studien von 2019 und 2017 vergleiche, ergäben sich Mietpreissteigerungen für die untersuchten 65-Quadratmeter-Wohnungen in mittlerer Lage aus neun unterschiedlichen Baujahren in Stuttgart um 4,8 Prozent in zwei Jahren. Das halte man in der Größenordnung für realistisch – allerdings halte man den angeblichen Mietpreisrückgang in München um 4,9 Prozent – „über alle Baujahre hinweg“ – für „erklärungsbedürftig“.

Man schließe nicht aus, dass es trotz aufwendiger Berechnungen aufgrund des „Vergleichsdesigns“ zu Verzerrungen kam. Höchst unterschiedliche Mietspiegel zu vergleichen, sei sehr schwierig, so Jacobi. In den Mietspiegeln von Stuttgart und München seien unterschiedliche Baujahre-Gruppen gebildet, weshalb im Fall von Stuttgart da und dort ein höherer Mietpreis in die Rechnung eingeflossen sein könne. Auch die von F+B betrachtete „mittlere Lage“ sei bedingt vergleichbar. Die in der Studie genannte durchschnittliche Quadratmetermiete von 10,41 Euro in Stuttgart (versus 9,74 Euro in München) könnte, so gesehen, tendenziell etwas überhöht sein. Nach dem Mietspiegel habe für alle dort erfassten Wohnungen der Durchschnittspreis im vergangenen Jahr 9,60 Euro betragen, heißt es im Statistischen Amt. Jacobis Fazit zur Mietpreisbotschaft aus Hamburg: „Das ist kein Ergebnis, worauf man viel geben sollte.“

Mieterverein rechnet mit Wohnungspolitik im Rathaus ab

Auch der Geschäftsführer von Haus und Grund Stuttgart, Ulrich Wecker, hat Zweifel an den Daten von F+B. Zudem: Im Mietspiegel würden nur Vermietungen in den letzten vier Jahren auftauchen. Viele nicht neu vermietete Wohnungen seien günstiger. Ein durchschnittlicher Preisanstieg um 4,8 Prozent in zwei Jahren sei auch „relativ undramatisch“. Das liege im Rahmen des Anstiegs der Realeinkommen.

Beim Mieterverein Stuttgart und Umgebung sprach der Vorsitzende Rolf Gaßmann am Freitag von einem „Weckruf“ durch die Firma F+B in Hamburg. Die Entwicklung in München, wo deutlich mehr gebaut werde, widerlege die „falsche These von Kuhn“, dass sich die Wohnungssituation auch mit mehr Wohnungsbau nicht verbessern ließe. Oberbürgermeister und Gemeinderat müssten endlich die Realitäten am Wohnungsmarkt zur Kenntnis nehmen. Die Explosion der Mietpreise und der Aufstieg Stuttgarts zur teueresten Landeshauptstadt in Deutschland seien Folgen der mangelnden Wohnbauförderung.

Von links kommt heftige Kritik

Zuvor hatte Martin Körner, SPD-Chef im Rathaus, bereits vom „Ergebnis einer verfehlten und wenig ambitionierten Wohnungspolitik des Oberbürgermeisters“ gesprochen. Stadtrat Thomas Adler (Linke) hatte ein „politisches Armutszeugnis für den OB und die neoliberale Wohnungspolitik der Mehrheit im Rat“ kritisiert.

Die Stadtverwaltung erklärte am Freitag, in den letzten sechs Jahren seien in Stuttgart gut 2000 neue Wohnungen im Jahr entstanden. Und OB Kuhn betonte: „Wir setzen auf die großen Entwicklungsflächen im Stadtkern. Allein auf den frei werdenden Flächen hinter dem Bahnhof ist Platz für 6000 neue Wohnungen.“