Die Landeshauptstadt tut zu wenig, um auf lokaler Ebene eine positive Dynamik für den Klimaschutz zu entfalten, findet Lokalchef Jan Sellner. Die Stadt Konstanz macht es vor.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - In Konstanz herrscht Klimanotstand. In Stuttgart nicht. Merkwürdig. Liegen die beiden Städte doch nur etwa 170 Kilometer von einander entfernt und durchaus in derselben Klimazone. Die Erklärung für den Klimanotstand dort und den Klimaalltag hier ist ganz einfach: Die Stadt am See hat sich als erste deutsche Kommune entschlossen ein sichtbares Zeichen für den Klimaschutz zu setzen, während die Landeshauptstadt davor zurückschreckt.

 

Apart dabei: In Konstanz regiert ein CDU-Oberbürgermeister – Ulrich Burchardt – in Stuttgart bekanntlich ein Grüner: Fritz Kuhn. Bemerkenswert auch: Der Konstanzer Gemeinderat hat einstimmig den Klimanotstand beschlossen, in Stuttgart blockten CDU und Freie Wähler diese Woche eine Initiative von SÖS/Linke-plus im Verwaltungsausschuss ab. Am 23. Mai soll der Stuttgarter Gemeinderat über die Idee entscheiden. Ob sie eine Mehrheit findet, ist fraglich.

Der Impuls ging von den Schülern aus

Die Gegner eines „Klimanotstands“ sehen darin reine Symbolpolitik. Tatsächlich handelt es sich nicht um einen Notstand im rechtlichen Sinne, sondern erst mal nur um einen Begriff. Der signalisiert allerdings unmissverständlich, in welcher dramatischen Situation wir uns heute befinden. Wer den Klimanotstand ausruft, muss deshalb auch Gegenmaßnahmen folgen lassen. Konstanz scheint dazu entschlossen: Bei jeder Gemeinderatsentscheidung werden künftig die Auswirkungen auf das Klima geprüft. Die Botschaft ist klar: Wir nehmen das Thema ernst – und wir nehmen die Anliegen der jungen Menschen ernst, die sich in der Bewegung Fridays for Future zusammengeschlossen haben. Von ihnen ging der Impuls aus. Die Stadt Konstanz hat ihn aufgegriffen. Und Stuttgart?

Viele politische Akteure hier wirken zaudernd und uninspiriert. Eine Erklärung könnte sein, dass die Stadtverwaltung und der Gemeinderat erklärtermaßen „feinstaubalarmgeschädigt“ sind. Fritz Kuhn hatte dieses Instrument ins Leben gerufen, um das Bewusstsein für die Luftreinhaltung zu schärfen – ein nachvollziehbarer Ansatz. Stuttgart hat damit bundesweit Aufsehen erregt – Wenn Feinstaubalarm ausgerufen wurde, bestand für Stuttgart allerdings immer auch Imagealarm. Das Problem dabei war, dass es nicht gelungen ist, positiv zu vermitteln, welche Anstrengungen die Stadt für eine bessere Luftqualität unternimmt. Der Modellcharakter rund um den Feinstaubalarm kam nie zum Vorschein.

Es fehlt ein markanter Oberbegriff

Ähnlich verhält es sich beim Klimanotstand. Konstanz muss erst noch zeigen, ob es in dieser Hinsicht eine Best-Practice-Stadt sein kann. Aber es unternimmt immerhin den Versuch dazu. In Stuttgart gibt es die Haltung: Wir tun ja schon viel gegen den Klimawandel – mehr als andere, mehr als Konstanz. Tatsächlich tut Stuttgart viel. Aktuell werden zum Beispiel die alten Leuchtröhren in den Straßenlaternen durch klimafreundlichere LED-Leuchten ersetzt, und es stehen mehr E-Roller zur Verfügung.

Stuttgart tut aber auch vieles nicht – oder zu wenig: Es fehlen Bäume im Stadtgebiet, und es gibt einen Stau beim städtischen Solardachprogramm, weil die Stadt dafür nur einen Mitarbeiter hat. Zwei Beispiele von vielen. Klar ist: Stuttgart muss eindeutig mehr tun. Und es muss dies unter einen markanten Oberbegriff stellen, ob als „Stadt im Klimanotstand“ oder als „Stadt der Klimahelfer“. Wichtig ist es, eine positive Dynamik nach innen wie nach außen zu entfalten. Daran vor allem mangelt es. Wo bleibt die Entschlussfreude? Wo die Kreativität?

jan.sellner@stnzn.de