Mediziner setzen bei der Masernvorsorge auf Aufklärung statt auf die Impfpflicht. Die Ärztekammer zweifelt indes, ob sie rechtlich durchsetzbar wäre.

Untertürkheim - Bis 30. April dauert die 14. Europäische Impfwoche noch. Diese Aktion gibt es aus gutem Grund: Denn immer mehr Eltern verzichten auf die Impfungen gegen Masern, Mumps, Wasserpocken oder Röteln. Einige aus Bequemlichkeit, andere aus Überzeugung. Die Folgen erleben die Kinderärzte. Krankheiten, die in Deutschland fast als ausgestorben oder unter Kontrolle galten, bereiten wieder Probleme. In Nordrhein-Westfalen wurden Schulen wegen einer Masernepidemie geschlossen.

 

Auch in Stuttgarter Schulen blieben einige Lehrer und Schüler mit dicken Hamsterbacken daheim – Mumps. „Seit Anfang des Jahres gibt es Meldungen über Verdachtsfälle von Masern oder Mumps aus Schulen und Kitas, die sich aber nicht immer bestätigen. Größere Krankheitswellen sind aktuell nicht aufgetreten“ , sagt Tobias Bischof vom Gesundheitsamt der Stadt. Ein Ausbruchsrisiko bestehe aber immer dort, wo eine größere Anzahl nicht geimpfter Kinder eine Einrichtung besucht, weshalb aus der Sicht der Prävention eine gleichmäßig verteilte hohe Durchimpfungsrate sinnvoll sei. Denn Masern sei extrem ansteckend.

Nicht auf die leichte Schulter nehmen

„Und auf die leichte Schulter sollte man diese als Kinderkrankheiten verniedlichten Erkrankungen nicht nehmen. Sie können heute noch schwerwiegende Folgen nach sich ziehen“, warnt Thomas Jansen, der Sprecher der Stuttgarter Kinderärzte. Der erfahrene Mediziner mit Praxis in Neugereut kämpft schon lange gegen die Impfmüdigkeit. Säuglinge sollten im Alter von etwa 15 Monaten gegen die häufigsten Kinderkrankheiten geimpft werden. Die zweite Impfung sollte ein Jahr später erfolgen. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt eine Impfquote von 95 Prozent. Bei der ersten Impfung liegt Stuttgart mit 94,9 Prozent knapp unter der Vorgabe. Besorgniserregend sieht es bei der Nachfolgeimpfung aus: Mit 86,9 Prozent wird die Quote klar verfehlt – Tendenz sinkend. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat deswegen die Einführung einer Impfpflicht zur Debatte gestellt.

Risiko von Hirnhautentzündung reduziert sich

Doch ist Zwang wirklich die richtige Lösung? Die meisten Mediziner setzen lieber auf Aufklärung. „Wir müssen die Eltern überzeugen“, meint Jansen aus Erfahrung. Nur wenige Eltern seien strikt gegen vorsorgliche Impfungen. „Jede Impfung ist eine Abwägung von Nutzen und Risiken. Bei der Masernimpfung überwiege der Nutzen bei Weitem. Schließlich kann eine Masernerkrankung oft zu Lungen- und Hirnhautentzündungen, bleibenden Schäden am Gehirn und schlimmstenfalls zum Tod führen.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass ein an Masern erkranktes Kind eine Hirnhautentzündung bekomme, liege bei 1:1000, das Risiko, dass ein Kinder dies durch die Masernimpfung erhalte, liege bei unter 1: 1 000 000.

Hohe Impfquote für Herdenimmunität

„Wichtig ist die hohe Impfquote nicht nur für den Schutz des Einzelnen, sondern auch für die so genannte Herdenimmunität. Wenn viele Menschen geimpft sind, können sich die Erreger nicht mehr in der Bevölkerung ausbreiten“, erklärt Oliver Erens von der Landesärztekammer. Auf diese Weise wurden Pocken weltweit und die Polio-Kinderlähmung europaweit ausgerottet. Auch er zweifelt, ob die Impfpflicht rechtlich durchsetzbar ist. Wie das Gesundheitsamt setzen die Ärzte deswegen auf intensive Beratung. Das Gesundheitsamt berät Eltern bei der Einschulungsuntersuchung über fehlende Impfungen, Schulen und Kitas in Fortbildungen sowie Bürger über das Impftelefon. „Wir planen weiterhin, den Eltern zum Schließen von Impflücken auch die Gelegenheit zur Impfung im Gesundheitsamt zu geben; hierfür steht noch eine Klärung der Kostenübernahme aus“, so Bischof.