Im März 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, wurde die Bibliothek in Stuttgart-Vaihingen eröffnet. Das Team der Bücherei gibt einen Einblick, wie stark sich das Büchereiwesen im Laufe der Zeit verändert hat.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Vaihingen - Der Einband ist stark eingedrückt, die Seiten bis zur Mitte des Buches ebenso. Mit dem untern Rand hat das Exemplar eine Kugel abgefangen. „Und wer weiß, vielleicht hat das Buch damit jemandem das Leben gerettet“, sagt Andrea Schiller, die Leiterin der Stadtteilbücherei am Vaihinger Markt. Das Buch ist nur eines von vielen Dokumenten der Zeitgeschichte, die das Team der Bibliothek gesichtet hat. Es zeugt von der turbulenten Anfangszeit. Denn die Bücherei wurde im März 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, eröffnet. Der damalige Standort war die Hindenburgstraße 21. „Eine Eröffnung während des Krieges ist ungewöhnlich. Die Gefahr einer Zerstörung war immer präsent“, sagt Schiller.

 

Dennoch war die Bücherei bei den Bürgern beliebt und wurde von der Fachpresse gelobt. „Sie war wohl besonders gelungen und hatte Beispielcharakter für andere Bibliotheken“, sagt Ulrike Seiwald, die stellvertretene Büchereileiterin. Die Informationen hat das Team in einem handgeschriebenen Buch einer ehemaligen Büchereiangestellten gefunden. „Das ist ein großer Schatz, ein liebenswertes Zeugnis unserer Geschichte“, sagt Seiwald. Zahlreiche historische Fotos finden sich ebenso in der Sammlung. Sie zeigen das alte Büchereigebäude, die Vergabe der „Bücher-Care-Pakete“ durch die Alliierten nach dem Ende des Krieges sowie die lange Theke, über die die Bibliothekarin die Bücher einst ausgab. „Heute ist man als Bibliothekarin eher im Hintergrund. Der Büchereibesucher kann sich frei umschauen und die Bücher auswählen, die er ausleihen möchte“, sagt Schiller.

Die Bücherei fiel einem Bombenangriff zum Opfer

Auch die Anzahl der Bücher, die man ausleihen kann, hat sich in den vergangenen 75 Jahren geändert. Früher durfte jeder Bürger nur zwei Bücher gleichzeitig mitnehmen, „davon einen Band aus dem unterhaltenden Schrifttum (Romane, Erzählungen, Novellen, Märchen, Sagen und Volksbücher) und den anderen Band aus allen weiteren Gebieten wie Lebensbilder, Reisebeschreibungen, Kriegserlebnisse, Politik und Weltgeschehen, Kunst, Natur und Technik, Praktische Lebenshilfe usw.“, heißt es in der damaligen Leseordnung. „Im sogenannten Leseheft wurde dann vermerkt, wer welches Buch ausgeliehen hat“, erzählt Schiller. Nur wenige Monate nach der Eröffnung, in der Nacht vom 22. auf den 23. November, fiel die Bücherei einem Fliegerangriff zum Opfer. Wiedereröffnet wurde die Bibliothek dann unter dem Namen Ludwig-Uhland-Bücherei an der Robert-Koch-Straße 21, wie die Hindenburgstraße dann hieß. Zu Beginn der 80er Jahre folgte der Umzug an den Vaihinger Markt.

Bürger sind aufgerufen, ihre Erinnerungen zu teilen

Für den Herbst plant das Team der Bücherei zwei Jubiläumswochen mit mehreren Veranstaltungen anlässlich des 75-Jahr-Jubiläums. So soll es eine Ausstellung mit Kinderspielzeug aus den 40er Jahren mit Studenten der Hochschule der Medien geben, außerdem Einblicke in die Büchereigeschichte ebenso wie in die Zukunft des Bibliothekenwesens. „Für den 18. November planen wir einen Familiensamstag“, sagt Seiwald. Zudem soll es Spaziergänge zum historischen Standort der Bücherei geben. Die Württembergische Landesbühne Esslingen (WLB) spielt am 5. und 6. Dezember das Kindertheaterstück „Knolle Murphy“, in dem es um eine schrullige Bibliothekarin geht.

In den Räumen der Bücherei werden auch die historischen Fotos ausgestellt, ebenso eine alte Schreibmaschine und schriftliche Dokumente. Finanziell unterstützt wird die Bücherei in ihrem Vorhaben vom Bürgerverein und vom Förderverein Kinder, Jugend, Bildung (KJB).

Auch die Vaihinger Bürger sind aufgerufen, sich an der Jubiläumsveranstaltung zu beteiligen. „Wir wollen alle Vaihinger dazu einladen, ihre Erinnerungen, Erfahrungen und Erlebnisse an und mit der Bücherei mit uns zu teilen“, sagt Schiller. In welcher Form genau, hat das Team der Bücherei noch nicht entschieden. Vielleicht wird eine Art Gästebuch ausliegen. „Wir überlegen uns dazu noch etwas Passendes“, sagt Schiller.