Ein Schreiben des Oberbürgermeisters zu den unzureichenden Meldemechanismen bei einem Feuer oder einem Amoklauf an einer Schule in Stuttgart-Vaihingen empört die Eltern und die Schulleitung: Die Situation werde verharmlost.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Vaihingen - Es ist ein unvorstellbares Szenario: An einer Schule bricht ein Feuer aus. Ein Signal ertönt, Kinder und Lehrer verlassen schleunigst das Gebäude. Doch der Ton der Glocke ist nicht überall zu hören. Zwei Jugendliche befinden sich im Probenraum im Keller – und bekommen von dem Alarm nichts mit!

 

Es war nur eine Übung. Doch abgesehen davon, dass nicht wirklich ein Feuer ausgebrochen war, trug sich die Situation genau so zu, und zwar im März an der Robert-Koch-Realschule (RKR) in Vaihingen. Anja Maiers Tochter war eine der beiden Schüler, die zum Zeitpunkt des Alarms im Schlagzeugraum waren. Erst als die Rektorin Nadia Bescherer-Zeidan in den Keller gekommen sei, seien die Kinder aufmerksam geworden. „Hätten die beiden nicht vorher den Schlüssel für den Raum im Sekretariat geholt, hätte sie keiner vermisst, und sie wären im Ernstfall vergessen worden“, sagt Maier und ergänzt: „Das kann doch nicht wahr sein. Ich habe die Hände über den Kopf zusammengeschlagen.“

Rektorin erreicht bei einem Alarm nur ein Drittel der Schüler

Dass die Alarmierungssituation an der RKR unzulänglich ist, war Maier bekannt. Die Schulleiterin hatte das Ende 2017 öffentlich gemacht, die Eltern informiert, und das Thema im Bezirksbeirat auf den Tisch gebracht. Sie machte öffentlich, dass sie bei einem Alarm nur etwa ein Drittel der Schüler erreiche. Im Ernstfall müsse ein Lehrer vom Haupt- in die Nebengebäude rennen und mit einer Trillerpfeife die Schüler und Lehrer alarmieren. Beim Thema Rauchmelder sehe es nicht besser aus, denn die gebe es nur in der Aula.

Die Lokalpolitiker und die SPD im Stuttgarter Gemeinderat reagierten mit Anträgen an die Verwaltung. Sie forderten Aufklärung und Gegenmaßnahmen. Insofern dachte Maier, dass alles auf einem guten Weg sei. Sie konnte dem Vorfall schon fast etwas Positives abgewinnen. Denn vielleicht würden jetzt alle Verantwortlichen aufwachen und schnell handeln. Doch als ihr dann die Antwort des Oberbürgermeisters auf den SPD-Antrag bekannt wurde, war Maier richtig sauer. Denn mit dieser ist sie ganz und gar nicht einverstanden.

OB spricht von einer Grundausstattung

OB Fritz Kuhn schreibt am 4. Juni, dass die Schule die festgelegte Grundausstattung habe. Zusätzlich zu den bestehenden Pausensignaltastern und Brandalarmierungsschaltern gebe es Amoktaster. Weiß stehe für das Pausensignal, rot für Brandalarm, gelb für Amokalarm. „Damit verfügen bereits jetzt alle Stuttgarter Schulen bis zum Einbau einer Sprachalarmierungsanlage über einheitliche Signale“, betont der OB und ergänzt: Bei dem Probealarm am 20. März 2018 seien der Hauptbau, die Mensa und die Pavillons erfolgreich alarmiert und geräumt worden.

Die Räume der ehemaligen Hauswirtschaftlichen Schule an der Vischerstraße seien jedoch noch nicht angeschlossen, räumt Kuhn ein. Dies solle bis zum Beginn des Schuljahrs 2018/2019 nachgeholt werden. Eine Brandmeldeanlage sei an der Robert-Koch-Realschule baurechtlich nicht gefordert. Dennoch gebe es an der Schule eine Brandmeldeanlage, und zwar eine der Kategorie 3. Das bedeute, dass die Flucht- und Rettungswege im Hauptbau – und nur die – mit Rauchmeldern ausgestattet seien.

Rektorin: Realschulen haben keine Lobby

Auch die Rektorin ist über die Antwort des Oberbürgermeisters enttäuscht und verärgert. Sie hat ihm zurückgeschrieben. „Ich bin doch recht erstaunt darüber, wie gut unsere Schule ausgestattet sein soll. Entweder sprechen wir von einer anderen als der Robert-Koch-Realschule oder die Standards der Stadt Stuttgart sind so niedrig angesetzt, dass jede Schule automatisch gut ausgestattet ist“, konstatiert Bescherer-Zeidan. Fakt sei, dass zum Zeitpunkt von Kuhns Schreiben weder im Sekretariat noch im Rektorat eine Anlage mit unterschiedlichen Warnsignalen und Tastern für Brand und Amok vorhanden gewesen sei. Also nicht einmal im Hauptgebäude sei ein für die Schulleitung erreichbarer Auslösemechanismus gegeben. „Ich spreche hier nicht von Sprachalarmierung, sondern von den anscheinend vorhandenen weißen, roten und gelben Tastern“, schreibt Bescherer-Zeidan. Am 14. Juni seien Handwerker da gewesen, um die entsprechenden Taster zu installieren. „Dies war dann zehn Tage nach dem Schreiben von Herrn Kuhn, in dem er der Auffassung ist, dass wir diesen ,Standard‘ bereits seit 2010 haben.“

Als Schulleiterin, die für etwa 700 Personen die Verantwortung habe, sei sie der Auffassung, dass „eine so reiche Stadt wie Stuttgart sich selbst disqualifiziert, wenn sie als Schulträger die katastrophalen Zustände an der Robert-Koch-Realschule verharmlost, kleinredet und uns mit den massiven gebäudetechnischen Mängeln alleine lässt. Ich muss feststellen, dass die Realschule, zumindest in Stuttgart, schlicht keine Lobby hat und hinten angestellt wird.“

Bescherer-Zeidan hat Verständnis für die besorgte Mutter. Und es ärgert sie maßlos, dass es im Schreiben des OB so scheint, als wäre alles schon erledigt. Genau das Gegenteil sei der Fall. Erst nachdem das Thema öffentlich geworden sei, habe die Stadt gehandelt, obwohl die Schule zuvor bereits Jahr für Jahr nach der obligatorischen Brandschutzübung die Missstände an die Verwaltung zurückgemeldet habe.