Für uns schnallt sie die Rollschuhe ab: Kathrin Weh - Rollerderby-Profi - zeigt uns ihre Lieblingsplätze.

Stuttgart - Schwarze Wolljacke, kurzer Rock, dicke Strumpfhose und Wildlederboots - Kathrin Weh ist in zivil zu unserem Stadtspaziergang gekommen. Doch bevor sie zeigt, wo Stuttgart für sie am schönsten ist, muss sie Kitty Carrera aus ihrer Trainingstasche lassen. Flugs packt sie Knieschoner, Ellenbogenschützer, Helm und Rollschuhe vor der Eingangstür der Scharrena aus.

 

Der Treffpunkt ist nicht zufällig gewählt. Am 18. Februar wird Kathrin alias Kitty Carrera mit dem A-Team der Stuttgart Valley Rollergirlz hier gegen die Stockholm Roller Derby Girls antreten. Premiere in der Scharrena, die Kitty und ihre Mädels künftig gerne auch fürs Training nutzen würden. „Das wäre optimal“, sagt Kathrin und streift sich einen Knieschoner über. Die dicke Jacke hat sie ausgezogen. In T-Shirt mit Vereinslogo erklimmt sie schließlich den Hügel am Hartplatz, auf dem auch die Jungs des VfB ab und an trainieren. Dass es ganz schön frostig ist, scheint Kathrin Weh nicht zu stören. Sie ist hart im Nehmen. Muss sie auch sein. Ihr Sport ist nichts für zarte Gemüter. Weltweit fast nur von Frauen gespielt, ist Rollerderby nichts für Mädchen. Es ist ein harter Sport mit komplizierten Regeln - Body-Checks inklusive. „Daher darf man auch erst mit 18 Jahren anfangen zu spielen“, erklärt Kathrin und macht die Klettverschlüsse an ihren Skates zu. Auf den Schnallen prangen Aufkleber in rosa von Comicheldin „Miss Kitty“ – natürlich.

Kathrin wird zu Kitty Carrera, ganz schön PS-stark

Beim Derby haben alle Spitznamen, die darauf schließen lassen, dass ihre Trägerinnen nicht gerade zimperlich sind. Auf Kathrin Wehs Trikotrücken prangt der Schriftzug „Kitty Carrera, Nummer 4, Team Germany“. „Kitty wurde ich ohnehin schon immer genannt. Carrera bezieht sich auf die Carrera-Bahn, da wir beim Derby schließlich auch im Kreis fahren. Und auch auf Porsche, die mich hoffentlich irgendwann sponsern werden“, sagt sie lachend. „Dann fahre ich den Carrera 4S“.

Momentan gibt sich die einstige bekennende Couch Potatoe aber mit einem weniger PS-starken Fahrzeug zufrieden, das sie unweit in einer Tiefgarage geparkt hat. „Dort haben wir neulich auf den Parkdecks trainiert“, erzählt Kathrin Weh und bringt sich hinter einem Gitterzaun in Position für die Kamera. Dabei übt sie sich in frecher Pose. Zähne zeigen wie beim Wettkampf und bei der Suche nach einer geeigneten Halle fürs Training. Im „Sport“, gleich neben der Scharrena haben die Rollergirlz Unterschlupf gefunden. In dem Multifunktionszentrum haben sie sich zwei Mal die Woche geschunden für eine prima Ausdauer, Kraft und eine starke Rückenmuskulatur. „Man wird sehr fit“, erzählt Kathrin auf dem Weg zu ihrer Trainingsstätte.

Dabei konnte sie vor zwei Jahren, als ihre Karriere bei den Stuttgart Valley Rollergirlz begann, nicht einmal Rollschuhlaufen. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, erzählt Kathrin Weh als sie, im „Sport“ angekommen, in Startposition geht, als ginge es darum, alles aus dem Weg zu räumen, was sich ihr entgegenstellt. Im Prinzip beschreibt das auch gut ihre Aufgabe im Team. „Man sollte ein Allrounder sein, also alles können. Doch die wendigen Kleinen sind eher die Jammer, die sich durchs Pack, also die Abwehr durchwuseln“, erklärt Kathrin Weh. „Ich dagegen bin eher der Pivot, also der Taktikgeber. Es braucht eben solche Dampfwalzen wie mich, die das Feld von hinten aufrollen“, sagt sie lachend.

Manche ihrer Teamkolleginnen kommen aus der Leichtathletik oder gar aus dem Kunstrollschuhlaufen. Doch auch ohne Vorkenntnisse hat Kathrin Weh das Rollerderby gleich gepackt. Sie zeigte Biss und absolvierte nach einem halben Jahr schon ihr erstes Spiel. „Und das, obwohl es damals noch gar kein B-Team gab wie heute.“

Bei der WM in Toronto ist sie für Deutschland an den Start gegangen

Stuttgart hat eine Vorreiterrolle in Sachen Rollerderby erklärt Kitty, während sie ihre Trainingsklamotten zusammenpackt und wieder zu Kathrin Weh wird. Die Stadtrundfahrt geht weiter. Denn langsam legt sich die Dämmerung über den Kessel und wir wollen noch hoch hinaus. „In Stuggi hat sich der erste Rollerderby-Verein Deutschlands gegründet“, erzählt Kathrin auf dem Weg zum Eugensplatz. Mittlerweile gebe es einige in der ganzen Republik. Dennoch hat es Kathrin Weh geschafft, aus vielen Bewerberinnen 2011 für den Deutschland-Kader zur ersten Derby-WM in Toronto ausgewählt zu werden. „Es war einfach Wahnsinn, die Megaerfahrung“, gerät sie ins Schwärmen. „Da waren nur die besten dabei, wie das Team der USA. Wenn die antraten, dann konnte ich nur mit offenem Mund zuschauen“, sagt Kathrin Weh und herzt dabei den Pinguin vorm gleichnamigen Eiscafé dessen Eröffnung sie im Frühjahr herbeisehnt. „Klar wegen des Eises. Aber auch wegen dem grandiosen Blick über die Stadt“, meint sie und erklimmt den Brunnen an der Aussichtsplattform am Eugensplatz. Das ist es, was die Reutlingerin, die schon lang mit ihrer Familie in Stuttgarter Halbhöhenlage lebt, an der Neckarmetropole so liebt: „Auf Stuggi runterzugucken.“

Weil das noch besser vom Teehaus im Stuttgarter Süden aus geht, machen wir uns auf den Weg dorthin. Oben angekommen, lässt Kathrin Weh den Blick schweifen und bekommt glänzende Augen. Auch eine, die in Toronto war, kann ihr Herz noch erwärmen für die Schöne zwischen Wald und Reben. Am besten ist es eben dort, wo die Liebsten sind. Mann und Sohn Phil durften die 35-Jährige zwar nicht nach Kanada begleiten – schließlich zahlten die Rollergirlz alles aus eigener Tasche. Aber als „Spielerfrauen“ unterstützen der Neunjährige und sein Papa die ehrgeizige Kitty Carrera wo sie können. „Phil ist bei Training und Spielen dabei. Er wird ein wunderbarer Referee werden.“ Denn Schiedsrichter sein, ist die einzige Funktion, die Männer in dem von Frauen dominierten Sport übernehmen dürfen. „Ich könnte mir allerdings auch vorstellen, bei den Stuttgarter Valley Rollergirlz ein Kinderteam ins Leben zu rufen und zu trainieren“, sagt Kathrin Weh beim Abstieg.

Das "Herbertz" ist Kathrins Wohnzimmer

Wir retten uns vor dem einsetzenden Graupelschauer ins „Herbertz“ in der Immenhoferstraße. Das kleine Café ist jeden Morgen Kathrin Wehs Wohnzimmer. Hier holt sie sich ihren Espresso, bevor es weiter geht zu ihrem Schreibtisch in einer Veranstaltungsagentur. „Es ist so schön urig hier. Hier versammelt sich der Stuttgarter Süden, man kennt sich, es geht richtig familiär zu.“ Wie bei den Rollergirlz. Eine Sportlerinnenfamilie, die auf Zuwachs hofft und auf den Einfluss des MTV Stuttgart. Seit 2011 gehören die Stuttgarter Rollergirlz zu dem großen Stuttgarter Verein. Der Vorstand ist ein Fan der starken Frauen in ihren schrillen Outfits und hat das Derby am 18. Februar in der Scharrena ins Rollen gebracht. Beim Blick durch die Fenster im „Herbertz“, an die der Regen klatscht, meint Kathrin Weh: „Jetzt brauchen wir nur noch ein Dach über dem Kopf. Wir wären schon mit einer Lagerhalle fürs Training zufrieden.“