In einem Krisengespräch fürchten verzweifelte Gastronomen um ihre Existenz und sehen sich von der Politik im Stich gelassen.

Stuttgart - Den ganzen Abend Zeit für seine Kollegen und Gäste aus der Politik im Nebenzimmer zu haben, das war für Stephan Wichmann kein Problem, denn bei der Arbeit war der Gastronom nicht gefragt: mangels Bedarf. Sein geöffnetes, vor der Pandemie gut gehendes Restaurant Alte Hofkammer in Zuffenhausen blieb leer. Gleichwohl gab er sich zu Beginn der elfköpfigen Austauschrunde, an der auch der FDP-Landtagsabgeordnete Friedrich Haag teilnahm, gefasst: „Wir wollen nicht nur Frust ablassen, sondern auch schauen, wo man helfen und sich unterstützen kann.“ Sein Vater Siegfried aber, mit dem er das Unternehmen mit vor der Pandemie drei, inzwischen noch zwei Hotels aufgebaut hatte, kam direkt auf den Punkt: „Wir wollen kämpfen und alle mal ein bisschen wachrütteln, damit mehr Zug und Zuverlässigkeit reinkommt.“

 

Kurzarbeit trifft Gastromitarbeiter besonders hart

Dennis Shipley, Geschäftsführer der Alten Kanzlei und Betreiber der Fernsehturm-Gastronomie, betonte: „Es trifft uns gewaltig, auch wenn wir noch eine gewisse Grundfrequenz haben.“ Sogleich kam er auf das Thema, das er an diesem Abend immer neu umkreiste: „Der Grundsatz, dass Gesundheit total vor Wirtschaft steht, übersieht, dass die Kurzarbeit in unserer Branche die Mitarbeiter auch krank macht“, denn im Gegensatz zur Industrie, wo über Tarifverträge und betriebliche Aufstockungen oft 80 bis 90 Prozent des sonstigen Lohnes zusammenkomme, seien es in der Gastronomie „wegen des Wegfalls von Trinkgeld kaum 40 Prozent, und das schlägt auch auf die Gesundheit, denn die Leute wissen nicht mehr, wie sie durchkommen sollen“, stellte Shipley fest. Er nannte das „eine Verschiebung von Leid“ und meinte: „Es ist völliges Harakiri, was wir da machen!“ Er stelle sich die Frage, auch in Zusammenhang mit einer eventuellen Impfpflicht, ob es, „ohne etwas verharmlosen zu wollen, nicht der Preis der Demokratie wäre, wenn es den ein oder andern Toten mehr gäbe“. Man müsse „ins Teilrisiko gehen und aus dem Panik-Modus herauskommen“.

Dass Gastronomie-Mitarbeiter es sich „gar nicht leisten können, in Kurzarbeit zu gehen“, betonte auch Sabina Porrello, die in Stammheim ein Lokal betreibt: „Ich habe meine Nichte regelrecht in einen anderen Job gezwungen, damit ich meinen Kellner halten kann.“ Doch nun wisse auch sie nicht mehr, wie es weitergehen soll: Von 21 Weihnachtsfeiern wurden 20 abgesagt. Die eine verbliebene hat sie selbst gecancelt, weil sie sich „wegen der Vorschriften nicht mehr getraut“ habe.

Wirte verzeichnen Stornierungen am laufenden Band

Dieses saisonale Kerngeschäft ist auch bei Wichmann weggebrochen: „Eine Woche nur Stornierungen! Die Caterings eingerechnet, 85 Veranstaltungen. Da willst du am Morgen nicht mehr aus dem Bett!“ Nun frage er sich, „wie ich mein Unternehmen retten kann. Dabei war ich vor der Pandemie schuldenfrei!“ Er wisse von vielen Kollegen, die „am gleichen Punkt stehen, komplett verzweifelt sind und nicht wissen, wie lange sie noch durchhalten“. Wie groß die Verzweiflung ist, deutete Wichmann in einem Halbsatz über einen Kollegen an: „Den Mann gibt es nicht mehr!“ Und zur Situationsbeschreibung nutzte er einen Vergleich: „Es ist so, wie wenn ein Porsche-Mitarbeiter mit 4000 Euro netto im Monat fast zwei Jahre nichts verdient.“

„Völlig zermürbt“ zeigte sich Michael Haug, der in Stammheim und Weilimdorf einen Imbiss betreibt: „Ich als Kleinstunternehmer kann nicht mehr. Lockdown ist besser.“ Und wie mit Urgewalt brach es aus Michael Steck heraus, Betreiber der Minigolf-Halle Black Light Stuttgart in Zuffenhausen: „Gruppen mit 20, 30, 40 Personen, alles weg. Ich habe in zehn Tagen 2000 gebuchte Personen verloren.“ Wie ein Tiger im Käfig laufe er zuhause auf und ab und frage sich: „Was soll ich tun? Wie geht’s weiter? Was den Kindern sagen? Das Studium meiner Kinder, die Rente: Da war alles drin, das ist alles zerstört. Und dann kommen Leute aus dem Homeoffice und ohne Einbußen und sagen: Du musst durchhalten!“

Als zermürbend beschrieben alle Beteiligten die permanenten Änderungen in den Corona-Verordnungen: „Du weißt am Abend nicht, was am Morgen gilt, und übermorgen nicht, was rückwärts gegolten hätte“, befand Wichmann, der auch „den wahnsinnigen Aufwand“ beklagte, der den Gastronomen in der Umsetzung abverlangt werde. Im Übrigen würden Gastronomen deshalb auch kaum noch einen neuen Steuerberater bekommen: „Die sind überfordert, die blicken auch nicht mehr durch.“

„Fleißige werden bestraft“

Ein anderes Problem: Dass auf der einen Seite beantragte Hilfsgelder nicht fließen, und auf der anderen im ersten Lockdown gewährte Überbrückungsgelder zur Stützung der Liquidität derzeit zurückgefordert werden. Dabei beschrieb Wichmann eine „absurde Situation“: „Weil wir aufgestanden sind, to go und Lieferungen gemacht haben, gelten wir im Nachhinein als liquide und müssen zurückzahlen.“ Shipley brachte das so auf den Punkt: „Bruder Leichtfuß, der vorher alles auf den Putz gehauen und die Beine hochgelegt hat, kriegt die Kohle. Wer fleißig war, wird bestraft.“

Dass das ein Unding sei, unterstrichen auch Friedrich Haag und Gaby Heise, Vorsitzende der FDP-Stadtgruppe Stammheim-Zuffenhausen, die sich beide intensiv an dem über vier Stunden langen Krisengespräch beteiligt hatten. Nun soll es eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Landtag zur Statusabfrage hinsichtlich der Hilfen geben. Angedacht ist auch „eine öffentlich wirksame Aktion“. Denn, so Dennis Shipley, „wir werden nicht nur von der Politik im Stich gelassen, sondern bezüglich der angeblichen Hilfen auch in der Öffentlichkeit falsch wahrgenommen.“