In unserer Serie „Stuttgart von oben“ blicken wir heute auf die Eiermänner in Stuttgart-Vaihingen. Der ehemalige Bezirksbeirat Friedrich Ressel ist mit dem IBM-Campus noch immer eng verbunden.

Vaihingen - Im Jahr 1972 ist der damals 35-Jährige Friedrich Ressel in die neue Firmenzentrale des amerikanischen Elektronik-Riesen eingezogen. „Ein tolles Gelände. Offen, freundlich, schlicht“, erinnert er sich. Ursprünglich war es das Ziel des Architekten Egon Eiermann, ein offenes Gelände zu gestalten, abgelegen und ohne Abgrenzung zur Umgebung. Die Terrorgefahr in den Siebzigerjahren sorgte aber dafür, dass doch ein Zaun aufgestellt wurde und der Werkschutz für Sicherheit sorgte.

 

Aus vier großen Gebäuden bestand der Campus damals – einer Cafeteria und drei Bürogebäuden. Alle vier sind das Werk Eiermanns und stehen heute als Beispiel der Nachkriegsmoderne unter Denkmalschutz.

Die Klimaanlage war im Dauereinsatz

Fünf Jahre später im Jahr 1977 wurde es den IBM-Mitarbeitern schon wieder zu eng, und es entstand Bürogebäude Nummer vier mit derselben Optik, allerdings ergänzt von Kammerer und Belz, deswegen trotz großer Ähnlichkeit nicht denkmalgeschützt. Erste Arbeiten waren auch bald im Gebäude fällig. „Wir hatten Leuchtkörper in der Decke, die an der Grenze der von der Gewerbeaufsicht geforderten Helligkeit lagen. Sie mussten deswegen ständig gereinigt werden und wurden schnell durch die üblichen Leuchtstoffröhren ausgetauscht.“

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Und dann waren da auch noch die Jalousien. Durch die große Glasfläche, optisch sehr ansprechend, war die Sonneneinstrahlung in die Bürogebäude hoch. Jalousien sollten das verhindern, wurden aber durch die hohen Windgeschwindigkeiten auf dem Areal beschädigt. „Daran sind die Jalousienbauer wirtschaftlich kaputt gegangen, und bei uns war die Klimaanlage im Dauereinsatz. Wir mussten bei Sonne sogar im Winter kühlen.“

Eine Brücke löste das Stauproblem

„Der Verkehr war schon immer so eine Sache“, erzählt Ressel. Die meisten Kollegen reisten damals aus dem Raum Böblingen an und mussten, um auf den Campus zu gelangen, den Gegenverkehr aus Stuttgart kreuzen. „Das gab endlose Staus, bis man endlich eine Spindel und eine Brücke zum Eingang gebaut hat.“ Eine nutzbare Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr wurde zwar vielfach gewünscht, aber nicht realisiert.

Oftmals machte sich Friedrich Ressel deswegen von Stuttgart-Vaihingen zu Fuß einmal durch den Wald zur Arbeit, auf dem Hinweg bergauf, auf dem Rückweg den Berg herunter. „Sogar über eine Seilbahn hat man damals nachgedacht, die technische Lösung wäre einfach gewesen, die Kosten allerdings immens.“

Zu Beginn seiner Zeit bei IBM war Ressel in der Lochkartentechnik tätig. Als die Technik in den Achtzigerjahren langsam ihr Ende fand, ging es für ihn in die Produktplanung. Später zog er in den Betriebsrat ein. „Das war damals bei IBM ein völliger Neuanfang. Von der rein mechanischen Datenverarbeitung zur elektronischen. Das war eine neue Welt und ein Kraftakt“, erzählt der ehemalige SPD-Bezirksbeirat.

„Das hat nichts mehr mit Eiermann zu tun“

1994 verließ Friedrich Ressel die IBM und schloss mit seiner Frühpensionierung vermeintlich das Kapitel Eiermann-Areal, doch auch heute interessiert es den 80-Jährigen noch sehr, was mit dem Gelände unmittelbar am Autobahnkreuz Stuttgart geschieht. „Ich konnte das Areal vor einem Jahr erneut besichtigen. Der Teil, den man uns gezeigt hat, war sehr schön hergerichtet. Allerdings war der Eingangsbereich damals puristisch gestaltet worden. Heute ist es absolut verändert – eher prächtig. Das hat nichts mehr mit Eiermann zu tun.“

Die jüngsten Entwicklungen passen Ressel gar nicht. Seit dem Wegzug der IBM im Jahr 2009 steht das Areal leer, nun soll ein Vorzeigeprojekt für Stuttgart entstehen. „Ich fürchte, die Bebauungspläne wurden einfach so genehmigt, mir ist nicht klar, wie eine Verkehrslösung aussehen soll, wenn doppelt so viele Arbeitnehmer dort täglich anreisen.“

Der Pensionär wünscht sich eine Zukunft für das Eiermann-Areal und will nicht auch noch die Todesstunde seines einstigen Arbeitsplatzes erleben.

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