Die Liederhalle und das Boschareal sind Beispiele für gelungene Bauprojekte und ausstrahlende Stadtentwicklung im Stuttgarter Zentrum.

S-Mitte -

 

Hier spielt die Musik! Im Luftbild drängt sich dieser Gedanke geradezu auf. Zumal es kaum der Fantasie bedarf, beim Schwarz-weiß-Foto im Baukörper des noch offenen Beethovensaales die Korpusform eines Klavierflügels zu sehen. Und in Kenntnis der Tatsache, dass mit der „Neuen Liederhalle“ das musikalische Leben der Stadt auferstanden ist aus Ruinen: aus denen der Alten Liederhalle des Stuttgarter Liederkranzes, das im Kriegsjahr 1943 Brandbomben zum Opfer fiel. Ein Gebäude aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, in dem etwa ein Wilhelm Furtwängler mit den Berliner Philharmonikern gastierte – und wo 1907 der Internationale Sozialistenkongress erstmals auf deutschem Boden getagt hatte. Also durchaus ein Gebäude von gewisser Bedeutung.

Bereits 1949 rief der Liederkranz einen Wettbewerb zum Wiederaufbau aus, mit zwei Siegern: Hans Scharoun, zunächst von der Stadt favorisiert, sowie dem Duo Abel/Gutbrod, das den Bau dann realisierte. Nach fünf Jahre zähem Ringen, in denen die Bauherrschaft 1952 an die Stadt ging, wobei noch 1953 alternative Standorte erwogen wurden. Der Hauptbahnhof-Bauer Paul Bonatz etwa plädierte für den Interimstheaterplatz zwischen Rosengarten und Neckarstraße.

Aufbruch ins „Neue Bauen“ der Nachkriegszeit

Noch faszinierender als die Standortdebatte wirkt im Nachvollzug, wie die Liederhalle ihre endgültige Gestalt fand. Denn das Siegerduo hatte zunächst einen konservativeren Ansatz gewählt, mit funktional ineinander verschachtelten Raumkuben. Auch aus „taktischen Gründen“, wie Adolf Abel später einräumte. Und eine jüngere wissenschaftliche Arbeit belegt anhand der Entwurfsskizzen, dass die konzeptionellen Ideen, die die Architektur prägen, vor allem von Abel sind, während Rolf Gutbrod die „kongeniale Umsetzung“ zugeschrieben wird. Doch unabhängig von der Akzentuierung der Autorschaft gilt: Ins Werk gesetzt hat das Duo nichts Geringeres als den Aufbruch ins „Neue Bauen“ der Nachkriegszeit, für das die Liederhalle ein „Leitfossil“, eine längst unter Denkmalschutz stehende Ikone wurde.

Abel wollte „die Befreiung von einer repräsentativen Architektur“, auch als Kontrast zum Bau-Monumentalismus der Nazi-Zeit. Freiheit und Demokratie hatten sich architektonisch abzubilden: Weg von strengen geometrischen Grundformen, von Axialität und Symmetrie, hin zu einer freieren Formfindung, in der organisch-expressive Kurven in Spannung zu geraden Linien stehen.

Nirgends sollte eine Achse zu finden sein, nach der sich alles in eine Richtung hin ordnen ließe. Es ist offensichtlich, wie sehr dieses Prinzip übers rein Gestalterische hinausweist, erst recht im direkten zeitgeschichtlichen Zusammenhang.

Abel setzte auf „optische Kontrapunktik“, auf die „Harmonie der Gegensätze“, und weil er dies mit dem antiken Grundsatz „Von nichts zuviel!“ verband, entstand die viel gepriesene Offenheit und Leichtigkeit des Gesamtkomplexes: mit den je typischen drei Hauptsälen, genialisch durch das Foyer verbunden und im Luftbild leicht als Beethoven-, Mozart- und Silchersaal ablesbar, zudem smart mit der Umgebung verbunden.

„Alles sollte von Liebenswürdigkeit getragen werden“, hatte Abel noch im Juli 1955 Gemeinderat betont – bevor der ganze Komplex in der schwer vorstellbar kurzen Zeit von nur anderthalb Jahren fertiggestellt wurde.

Für zeitgemäße Transformation gekämpft

„Ja, hier ist mir Stuttgart sehr nahe“, sagt Matthias Hahn, der langjährige Baubürgermeister der Stadt, preist die Zeitlosigkeit der Liederhalle, verweist zudem auf das Max-Kade-Haus, als erstes Studentenwohnheim ebenfalls eine Pioniertat. Auf die Hochschule für Technik – und auf das Bosch-Areal. „Was für ein Glück, dass Ostertag den ersten Preis gewonnen hat! Schon der zweite war ein Abräumer“, erzählt Hahn, der für eine zeitgemäße Transformation mit dem Erhalt der vorderen Hauptgebäude vom Beginn des 19. Jahrhunderts gekämpft hatte: „Die Landesregierung hatte schon Millionen bereitgestellt. Gut, dass wir das verhindern konnten.“ Etwa ein Urban Entertainment- oder eine Art World Trade-Center mit zwei schlanken Hochhaus-Türmen.

Stattdessen „eine Entwicklung mit Maß und Ziel, die weit übers heutige Areal hinaus strahlt und auch ein Impulsgeber ist für den Übergang vom Westen her“, betont Hahn und resümiert: „Das Bosch-Areal ist ein Beispiel für einen gelungenen, starken Eingriff der öffentlichen Hand. Wir haben einen Stein ins Wasser geworfen – und das zeitigt weiter gute Folgen. Ja, ein schönes Stück Stuttgart!“