Das in den 1950er Jahren nach den Plänen des bekannten Architekten Hans Scharoun errichtete Hochhausensemble Romeo und Julia ist der optische Hingucker in Rot. Doch auch das Förderprogramm Soziale Stadt hat viele Spuren im Stadtteil hinterlassen.

Rot - Wer die Namen Romeo und Julia hört, dem kommen normalerweise die beiden Liebenden in den Sinn, die durch die gleichnamige Tragödie von William Shakespeare Weltruhm erlangten. Angesiedelt in der italienischen Stadt Verona, schildert die Geschichte das Schicksal eines Paares, das verfeindeten Familien angehört und unter unglücklichen Umständen durch Selbstmord endet. Erstmals erschienen ist das Werk Ende des 16. Jahrhunderts. Dreieinhalb Jahrhunderte später kam es – zumindest bildlich gesprochen – im damals noch sehr jungen Stadtteil Rot zu einer Wiederauferstehung der Beiden, freilich nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Stahl und Beton: Zwischen 1955 und 1959 wurde nach den Plänen der Architekten Hans Scharoun und Wilhelm Frank an der Schozacher und an der Schwabbacher Straße ein Hochhaus-Ensemble namens Romeo und Julia errichtet. Nach wie vor dominieren die beiden Häuser den Stadtteil optisch, auch wenn sich seit den 1950er Jahren baulich auch sonst eine Menge getan hat.

 

Romeo war einst das höchste Wohnhaus in Deutschland

Die Baustelle für die Liebenden in luftiger Höhe ist bereits auf dem Luftbild aus dem Jahr 1955 zu erkennen, auf dem Bild von 2015 ist vor allem die halbkreisförmige Julia optisch präsent. Das Konzept von Scharoun sah ein punktförmiges Hochhaus sowie ein weiteres, etwas niedrigeres und halbkreisförmiges Hochhaus vor. Man könnte also sagen, Julia (11 Stockwerke) blickt zu Romeo (19 Stockwerke) auf. Romeo mit seinen 65 Metern Höhe galt in den 1960er Jahren als höchstes Wohnhaus in Deutschland. Bezogen wurde Romeo im Sommer 1957. Als im Frühjahr 1957 Besichtigungstermine angekündigt wurden, sollen angeblich bis zu 20 000 Menschen Interesse an den 104 Wohnungen bekundet haben. Damals lebten in Rot knapp 15 000 Menschen.

Julia mit ihren 82 Wohnungen wurde 1959 fertig gestellt. Im Gegensatz zu ihrem Partner ist sie ein so genanntes Laubengang-Hochhaus: Die Wohnungen sind von offenen Gängen aus zu erreichen. Julia ist nicht gleichmäßig hoch, sondern staffelt sich von vier auf sieben und elf Stockwerke. Sie hat einen halbkreisartigen Grundriss, der nach Norden offen ist. Im Innern gibt es einen Hof. Sowohl die Fassade von Julia als auch die von Romeo sind asymmetrisch gestaltet.

Natürlich dreht sich die Geschichte von Rot nicht nur um das allseits bekannte Hochhaus-Ensemble. Die erste planmäßige Bebauung in größerem Ausmaß gab es bereits 1928, als auf dem Flurstück Malberg – einem ehemaligen Steinbruchgelände – vier dreigeschossige Gebäude mit zusammen 24 Wohnungen errichtet wurden. Von 1938 bis 1940, also während der NS-Zeit, wurde dann die Alte Rotwegsiedlung mit rund 100 Häusern gebaut. Als das Dritte Reich und mit ihm gut ein Drittel aller Wohnungen in Stuttgart in Trümmern lag, fanden sich in Rot zahlreiche landwirtschaftliche Flächen, aber auch ein ehemaliges Polizeigelände, die für eine Wohnbebauung genutzt werden konnten. Angesiedelt wurden zunächst vor allem aus Südosteuropa heimatvertriebenen Volksdeutsche, die zuvor im Barackenlager auf der Zuffenhäuser Schlotwiese mehr schlecht als recht untergebracht waren.

Das Förderprogramm Soziale Stadt Rot spielte eine entscheidende Rolle

Im Jahr 1949 wurde der erste Wohnblock in Rot fertig gestellt. Vor allem die Baugenossenschaft Neues Heim und die Baugenossenschaft Zuffenhausen errichteten in den Folgejahren viele Häuser, beteiligt waren aber auch andere Wohnungsbaugesellschaften. 1954 erhielt das Neubaugebiet einen Straßenbahnanschluss. Im selben Jahr wurden die Silcherschule und die hauswirtschaftliche Berufsschule an der Schwabbacher Straße eingeweiht. Ebenfalls in den 1950er Jahren entstanden an der Haldenrainstraße die Auferstehungskirche und die Dreifaltigkeitskirche.

Ebenso wie die 1950er Jahre ein entscheidendes Jahrzehnt für den Stadtteil waren, so spielte auch der Zeitraum von 2003 bis 2013 eine große Rolle. Im Rahmen des Bund-Länder-Förderprogramms „Soziale Stadt“ flossen laut Dieter Kupsch rund zwölf Millionen Euro Fördergelder nach Rot. „Dadurch hat sich vieles zum Positiven verändert. Unter anderem wurde die Infrastruktur enorm verbessert“, sagt Kupsch. Der von vielen Menschen gerne auch „Bürgermeister von Rot“ genannte Kupsch engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich für den Stadtteil. „Ich fühle mich heute hier viel wohler als früher“, erzählt Kupsch, der seit dem Jahr 1961 (mit Unterbrechung) in Rot lebt. Grünanlagen, Spielplätze und Straßen seien attraktiv gestaltet, die Einkaufsmöglichkeiten verbessert worden.

Einen Farbtupfer nicht nur optischer Natur bekam die Soziale Stadt und damit auch Rot durch das knallrot gestrichene neue Bürgerhaus an der Auricher Straße. Es entstand durch den Umbau des Comeniushauses der evangelischen Kirchengemeinde und wird heuer zehn Jahre alt. Farblich etwas zurückhaltender, nämlich vor allem grau, ist der 2014 an der Haldenrainstraße eingeweihte Hans-Scharoun-Platz. „Mit ihm wird die gefühlte Mitte von Rot zur gebauten Tatsache“, hatte der damalige Baubürgermeister Matthias Hahn beim Spatenstich 2012 gesagt. Zwei Jahre später wurde der Platz, der von Geschäften und Wohnungen umrahmt wird, eingeweiht. Benannt worden ist er nach dem Architekten von Romeo und Julia, die nur wenige Meter entfernt in den Himmel wachsen.