Nach dem Krieg sollte in der Stuttgarter Innenstadt ein riesiger Unicampus entstehen. Doch 1955 kam alles anders.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Als im Herbst 1955 das hier gezeigte Luftbild vom Hochschulcampus in der Stuttgarter Innenstadt aufgenommen wurde, war die akademischen Welt in der Landeshauptstadt eine andere. Das liegt nicht nur daran, dass die 1967 zur Universität beförderte Hochschule damals noch TH Stuttgart hieß.

 

Zehn Jahre lang hatten die Vertreter von Hochschule, Stadt und Land seit Kriegsende diskutiert, wie das Viertel rund um den Stadtgarten weitergebaut werden soll – es gab sogar Überlegungen, den Campus mit den Instituten am Azenberg zu einem großen Hochschulviertel zusammenzuschließen und dafür das Katharinenhospital zu verdrängen. Der Stuttgarter Gemeinderat bezeichnete diesen Schritt jedoch „im Hinblick auf das Überangebot in den akademischen Berufen als unzweckmäßig“.

1948 war das; damals wurde die Chance für einen großen Citycampus vertan. Der für Labore und Versuchseinrichtungen benötigte Platz hätte im Kessel aber ohnehin nicht ausgereicht. Das erkannten mit der Zeit auch die verantwortlichen Politiker und Stadtplaner, weshalb der große Wurf nicht in der Innenstadt, sondern weiter draußen gewagt wurde. Wo genau, darüber wurde heftig gestritten: die Degerlocher wollten ihren Wald partout nicht hergeben, der Fasanenhof war der Stadt zu teuer, auch die später favorisierte Lösung des Campus am Vaihinger Pfaffenwald war wenig beliebt. Noch geringer angesehen, zumindest beim Oberbürgermeister Arnulf Klett, war hingegen der Vorschlag, die Hochschule nach Ludwigsburg zu verlegen. „Solange ich lebe, bleibt die TH in Stuttgart“, wird Klett in Johannes H. Voigts 1981 erschienenem Band zur Unigeschichte zitiert.

Mit unserer Slider-Ansicht können Sie zwischen dem alten Luftbild von 1955 und dem aktuellsten verfügbaren (aus 2015) hin- und herwischen:

Als 1954 die von Kanzler Adenauer erlassenen Rüstungsbeschränkungen ausdrücklich nur atomare, biologische und chemische Waffen umfassten, war endgültig klar, dass der Platzbedarf etwa für die wieder aufzubauende Luftfahrtforschung in der Innenstadt nicht zu decken ist. Im Mai 1955 fiel die Entscheidung für den Pfaffenwald. Übrigens haben fast alle technischen Hochschulen zwei Campi, betont der Uniarchivar Norbert Becker – einen historischen in der Innenstadt und einen neueren weiter draußen.

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Der Campus in der Innenstadt war damit aber ganz und gar nicht abgeschrieben. Dort sollten, so der ursprüngliche Beschluss, die wichtigsten Institute und Lehrgebäude verbleiben. Um den vorhandenen Platz sinnvoll zu nutzen, wurden vom Krieg beschädigte Bauten bis 1964 mit den Kollegiengebäuden KI und KII überbaut. Hinzu traten die Bibliothek und das Hörsaalprovisorium. Das als Wohnheim genutzte Max-Kade-Hochhaus ist bereits auf dem Bild aus 1955 zu erkennen.

Die Kollegiengebäude seien „Türme der Wissenschaft“ und somit „Zeugen der Wandlung unserer Zeit“, sagte der Kultusminister Gerhard Storz bei der Einweihung. Längst sind diese Türme nicht mehr hoch genug für die immer weiter gewachsene Zahl der Studierenden. Und doch sind bis heute nicht alle technischen Institute nach Vaihingen abgewandert: das Institut für Werkzeugmaschinen etwa, im aktuellen Luftbild links oben zu sehen, hat bis heute seinen Sitz in der Hegelstraße.