Am Sonntag ist Superwahltag. Die Bürger sind aufgerufen, bei der Europawahl und der Regionalwahl je ein Kreuz zu machen und in Stuttgart bei der Kommunalwahl bis zu 60 Stimmen zu vergeben. Kumulieren und Panaschieren, also die Stimmen auf bestimmte Kandidaten einer Liste zu konzentrieren oder sich für Bewerber von mehreren Listen zu entscheiden, will gelernt sein. 2019 waren zwei Prozent aller Stimmzettel ungültig.
In den vergangenen Tagen bestimmten Berichte über entfernte und zerstörte Wahlplakate, Beleidigungen und Handgreiflichkeiten gegenüber Wahlkämpfern die Schlagzeilen. Neu ist das nicht, denn auch vor dem Superwahltag vor fünf Jahren wurde über derartige Auswüchse berichtet. Einen großen Unterschied zu 2019 gibt es allerdings: damals waren die wählenden VfB-Fans nach dem Abstieg noch in Schockstarre, dieses Mal herrscht nach der Vize-Meisterschaft große Euphorie, die sich die CDU in ihrer ansonsten höchst umstrittenen aggressiven Kampagne mit dem Hinweis zunutze machte, nur mit ihr spiele auch die Stadt Stuttgart in der Champions League.
Neuer Gemeinderat konstituiert sich am 24. Juli
in Déjà-vu werden die im Aufsichtsrat der Stuttgarter Straßenbahnen AG sitzenden Stadträte am kommenden Montag erleben, denn auch dieses Mal sind sie gleich nach der Wahl aufgefordert, einen neuen Kaufmännischen Geschäftsführer zu wählen: 2019 war es Mario Laube, nun muss bereits sein Nachfolger gefunden werden. Sie sind noch im Amt, da die konstituierende Sitzung des neu gewählten Gremiums erst in der letzten Sitzung vor der Sommerpause, am Donnerstag, 24. Juli, stattfindet.
Am 26. Mai vor fünf Jahren durfte sich OB Fritz Kuhn über einen Erfolg seiner Partei freuen. Das Wahlergebnis wurde als Verpflichtung für alle verstanden, die Energie- und Verkehrswende voranzutreiben. Kuhn hat das nicht ermutigt, erneut zu kandidieren. Deshalb hofft nun OB Frank Nopper auf einen Erfolg bei der Kommunalwahl und – als Spitzenkandidat seiner Partei – auch für die Regionalwahl. Letzteres ist notwendig, immerhin hat der CDU-Politiker den Regionalpräsidenten Thomas Bopp verdrängt.
Grüne verlieren zwei Stadträte
Die Grünen gewannen 2019 zwei Sitze dazu und bildeten mit 16 Mandaten die stärkste Fraktion. Nun sind es nur noch 14, denn vor kurzem verloren sie ihren ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Andreas Winter und Marco Rastetter an die Stuttgarter Liste, die das Duo mit Laura Halding-Hoppenheit gründete. Sie verließ dafür die Partei Die Linke.
Für die CDU war die Wahl 2019 ein Debakel. Sie schrumpfte von 17 auf elf Sitze. Die „Visionen der CDU“ sind für die Mehrheit der Wähler eben doch nicht die Zukunft der Stadt gewesen, wie in einem Slogan verbreitet, sondern dem Zeitgeist zuwiderlaufende Thesen. Die CDU wähnt sich mit ihren Themen – Sicherheit, Vorfahrt fürs Auto und kein weiterer Zuzug von Flüchtlingen – in der Vorhand und hofft auf eine konservative Mehrheit. Ob mit oder ohne AfD ist eine der spannendsten Fragen.
Die Ratsmehrheit ist ökologisch und sozial
Aktuell existiert eine öko-linke Mehrheit aus Grünen (14 Räte), SPD (7), dem Linksbündnis (SÖS, Linke, Tierschützer, Piraten, 6) und der Fraktion Puls (Stadtisten, Junge Liste, Die Partei, 5) mit zusammen 32 Sitzen. Die CDU zählt (inklusive Ioannis Sakkaros von der Liste Kein Fahrverbot) zwölf Sitze, FDP, Freie Wähler und die AfD kommen auf je vier Sitze. Die Einzelstadträtin Sibel Yüksel bildet mit der SPD eine Zählgemeinschaft. Die Stuttgarter Liste (3 Sitze) orientiert sich eher nach links.
Der Stuttgarter Ordnungsbürgermeister und Kreiswahlleiter Clemens Maier (Freie Wähler) hat es in seinem Aufruf als „Privileg in unserer Demokratie“ bezeichnet, jene Politiker bestimmen zu können, „denen Sie politische Entscheidungen auf kommunaler, regionaler oder europäischer Ebene zutrauen“. Er sagte: „Mit Ihrer Stimme am 9. Juni wählen Sie die Stadträtinnen und Stadträte als Ihre Ansprechpersonen für die kommunalen Belange. Die Arbeit dieser Räte wird die Zukunft Stuttgarts prägen. Denn Demokratie lebt davon, dass sich jeder Bürger und jede Bürgerin einbringt.“
Drittstaatler dürfen nicht wählen
Jeden Stuttgarter Bürger kann er allerdings nicht gemeint haben. Aus einer in Sillenbuch gebildeten Menschenkette gegen Rechtsextremismus stach unlängst Shivan Khorto mit einem selbstgemalten Plakat heraus, auf dem die Frage: „Warum darf ich nicht wählen?“ prangte. Der in der Degerlocher Albschule beschäftigte Erzieher ist Jeside, stammt also aus dem Irak – ohne Chance, zeitnah eingebürgert zu werden. Als Drittstaatler dürfen Stuttgarter wie er nicht einmal an der Kommunalwahl teilnehmen, auch wenn sie sich in Bürgermeister Maiers Sinne für die Demokratie einbringen.
EU-Bürger dürfen dagegen wählen. Die Zahlen sind erstaunlich, vor allem vor dem Hintergrund, dass Drittstaatler eher demokratische Parteien bevorzugen dürften: Mit rund 82 000 Personen über 16 Jahren ist ihr Anteil genauso hoch wie der der EU-Bürger. Die Zahl entspricht 16 Prozent bezogen auf die Wahlberechtigten in Stuttgart.
Rekord bei der Briefwahl in Stuttgart
Bei der Kommunalwahl wird es in der Stadt so viele Briefwähler wie nie zuvor bei einer Abstimmung über die Zusammensetzung des Stuttgarter Gemeinderats geben. Kurz vor dem Urnengang waren beim Wahlamt etwa 122 000 Anträge auf Briefwahl gestellt worden, „87 500 Umschläge haben wir bisher zurückerhalten“, so der Amtsleiter Matthias Fatke. Er erwartet, dass bis Sonntag um 18 Uhr weiter rund 20 000 Stimmzettel eingehen. Bei der letzten Gemeinderatswahl 2019 hatten 83 557 Bürger ihre bis zu 60 Stimmen vor dem Wahltag platziert.