Niklas Klingel hat die Jury des 63. Europäischen Wettbewerbs überzeugt. Mit seiner Europa-Rede landete er auf dem ersten Platz. Die Auszeichnung erhielt er in der Villa Reitzenstein, nachdem er dort seine Rede vor geladenen Gästen halten durfte.

Stuttgart-Weilimdorf - Man trifft gelegentlich Schüler, da weiß man einfach, dass sie es drauf haben“, sagt Alexander Stephan Raißle und schmunzelt. Der Lehrer am Solitude-Gymnasium hatte aktuell so eine Begegnung. Niklas Klingel hat ihn überzeugt. „Ich bin mir sicher, dass wir von ihm noch etwas hören werden“, sagt Raißle. Der Pädagoge hält große Stücke auf den 17-jährigen Weilimdorfer und hatte ihn Anfang des Jahres gefragt, ob er sich vorstellen könnte, beim 63. Europäischen Wettbewerb anzutreten. Das Thema: „Gemeinsam in Frieden leben – Wir sind Europa“. „Ich wusste, dass er, wenn er seinen inneren Schweinehund überwindet und teilnimmt, gute Chancen hat, nicht auf dem letzten Platz zu landen“, sagt Raißle und lacht.

 

Niklas Klingel sagte zu. Er nahm sich des Themas an und entschied sich dafür, eine Rede zu schreiben und diese einzureichen. Vier Tage hat er sich dafür Zeit genommen, jeweils zwischen vier und fünf Stunden. Dann war sein Beitrag fertig. Und nicht nur das: Er ist auch so gut geworden, dass der Abiturient den ersten Preis in der Altersklasse 17 bis 21 Jahre gewann. Niklas Klingel war zudem einer von nur 671 Teilnehmern, die mit dem Bundespreis ausgezeichnet wurden. Insgesamt hatten rund 77 000 Mädchen und Buben aus mehr als 1100 Schulen an dem ältesten Schülerwettbewerb Deutschlands teilgenommen, der unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten steht.

„Der Wettbewerb hat mich vor allem in meinem Berufswunsch gestärkt“, sagt Niklas Klingel. Er wolle ab Oktober Jura studieren und später einen Beruf in der Politik ergreifen. Ganz nebenbei gab es als Preis aber auch noch 300 Euro und eine Einladung in die Villa Reitzenstein. Im Amtssitz des baden-württembergischen Ministerpräsidenten erhielt Niklas Klingel Anfang Mai seine Auszeichnung und durfte seine Rede vor den geladenen Gästen halten. „Ich habe selten so viele offene Münder im Publikum gesehen. Es war eine ungewöhnliche Situation und großes Kino“, sagt Alexander Stephan Raißle. „Eine gute Rede zu schreiben ist das eine, sie dann aber noch so vorzutragen das andere. Das hatten wohl nicht viele Leute von einem 17-Jährigen erwartet.“ Auch der damalige Landes-Europaminister Peter Friedrich habe den Weilimdorfer für seine Rede gelobt.

„Unsere Zukunft muss Europa heißen!“

Niklas Klingel ging in seinem Beitrag unter anderem darauf ein, wie wichtig die Europäische Gemeinschaft geworden ist. Die EU gelte weltweit als eine der größten Stabilitäts- und Wachstumszonen. „Europa ist wirtschaftlich, aber auch politisch eine aufstrebende Weltmacht“, sagt Klingel. Die Europäische Union schaffe Freiheit und sorge für Synergieeffekte. „Ich bin in Deutschland zwar aufgewachsen, studiere aber vielleicht in Großbritannien, verbringe einige Jahre meines Lebens in Frankreich und arbeite später in einem skandinavischen Land. Meine Identität bedeutet für mich nicht nur Deutscher zu sein. Ich lebe in Europa. Ich bin auch Europäer!“

Doch die positiven Leistungen Europas würden nicht anerkannt. „Warum“, fragt Niklas Klingel und gibt gleich die Antwort. Die großen Errungenschaften würden oft durch den Vorwurf des Regulierungswahns überschattet. Das wohl bekannteste Beispiel dafür sei die sogenannte „Gurkenkrümmungsverordnung“, durch die in der Bevölkerung die Sinnhaftigkeit der EU in Frage gestellt wurde.

Doch die Staatengemeinschaft habe in jüngster Vergangenheit auch viele andere Fehler gemacht. „Die Flüchtlingskrise zeigt Europa mit einer gnadenlosen Härte die eigene Machtlosigkeit auf. Und wir müssen erkennen, dass Europa vergessen hat, was europäisch eigentlich bedeutet“, sagt der Abiturient. Statt sich als geschlossene Wertegemeinschaft zu präsentieren, die im Zeichen von Menschenrechten und Solidarität agiere, würden viele der Staaten nur noch ihre eigenen, egoistischen Interessen vertreten. Europa stehe deshalb kurz vor dem Kollaps, weil einzelne Staaten die Handlungsfähigkeit der EU blockieren und sich von der Außenwelt abkapseln. Europa akzeptiere dabei die Missachtung grundlegender Menschenrechte und der Genfer Flüchtlingskonvention. Zudem akzeptiere man 37 000 ertrunkene Flüchtlinge im Mittelmeer. Europa müsse zusammenstehen, um diese Probleme zu lösen. Die einzelnen Staaten seien der beschleunigten Globalisierung nicht gewachsen. Sie könnten weder die Flüchtlingskrise lösen, noch beenden, den Nahen Osten nicht befrieden und den Kampf gegen den Islamischen Staat nicht gewinnen. „Wenn wir Europa aufgeben, werden wir unser eigenes Scheitern in den zu bewältigenden Aufgaben bereitwillig akzeptieren“, sagt der Weilimdorfer. „Unsere Zukunft muss Europa heißen!“