Viele Jahre haben die Sozialdemokraten im Stadtparlament auf Zuschüsse von Betrieben für den Nahverkehr gepocht. Nun ereilt die Genossen ein Sinneswandel.

Die Finanzierung von Bus und Bahn im Land könnte neben Steuermitteln und Ticketeinnahmen auf eine dritte Säule gestellt werden, die Nahverkehrsabgabe. Kommunen sollen per Gesetz die Möglichkeit zur Erhebung erhalten, so haben es Grüne und CDU im Koalitionsvertrag vereinbart. Damit verbunden ist eine Mobilitätsgarantie, ein ÖPNV-Mindeststandard. Lange sah es so aus, als würde Stuttgart bei der Einführung der Abgabe die Vorreiterrolle übernehmen. Doch dem ist nicht mehr so.

 

Nur einen Tag nachdem das Verkehrsministerium die in Zusammenarbeit mit Modellkommunen – Stuttgart zählt dazu – gewonnene Einnahmeberechnung vorlegte, kommt aus dem Gemeinderat die mehrheitliche Absage für eine weitere Zusammenarbeit. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) wollte im nächsten Schritt mit vier Kommunen Detailberechnungen anstellen. Als möglich für die Abgabe gilt ein Obolus aller Einwohner, Kfz-Halter, Kfz-Nutzer (Citymaut) oder der Arbeitgeber. Die Zahler würden die gleiche Summe für Ticketkäufe („Mobilitätspass“) zurückerhalten.

Nopper: Abgabe ist überholt

Bei den möglichen Einnahmen für den Ausbau des Nahverkehrs in Stuttgart spreche man zwar von einer hohen Größenordnung (um die 100 Millionen Euro pro Jahr wären möglich), so Martin Körner. Alle Werte stammten aber „aus der alten Welt, als es noch kein Deutschlandticket gab“, so der Strategie- und Mobilitätsreferent im Büro von OB Frank Nopper (CDU). Das kommt als bundesweite Nahverkehrsfahrkarte für 49 Euro im Monat zum 1. Mai. Die Abgabe sei durch das Ticket überholt, so Nopper, und sie werde die Position der Stadt bei Verhandlungen über Zuschüsse schwächen.

Während die Grünen, das Linksbündnis und die Fraktion Puls gern die nächste Stufe beschreiten würden, rückten die Sozialdemokraten im Mobilitätsausschuss des Gemeinderates von weiteren Berechnungen ab. Man habe zwar immer eine Arbeitgeberabgabe gewollt, so Lucia Schanbacher für die Genossen, aber der Vorschlag insgesamt sei nun „aus der Zeit gefallen“. Außerdem wolle man nicht „über das Stöckchen des Landes springen“. Man wolle das Gesetz des Landes abwarten.

CDU: Stadt hat kein Einnahmeproblem

Das sind ganz neue Töne von den Genossen, die mit ihren sieben Stimmen als entscheidendem Gewicht die Waage jetzt in Richtung Ablehnung neigen. Nopper betonte zwar vor dem Ausschuss, man „liefere nur einen Bericht“, der hat aber Konsequenzen. Und zwar die, die der OB schon vor einem Jahr gern gezogen hätte.

Laut CDU-Fraktionschef Alexander Kotz ist eine Abgabe nicht nur abzulehnen, weil man keinen Alleingang und Flickenteppich wolle. Die Stadt brauche auch kein zusätzliches Geld: „Wir haben doch kein Einnahmeproblem!“ Man könne jährlich 80 Millionen Euro für den ÖPNV ohne neue Schulden finanzieren. Die Grünen kündigten an, „dranbleiben“ zu wollen, so Fraktionschef Andreas Winter. Die Abgabe sei entscheidend für Investitionen und Klimaschutz, so Christoph Ozasek (Puls). Man wolle mit der Abgabe das 365-Euro-Jahresticket erreichen, so Luigi Pantisano (Linke). „Morgen kommt das nicht“, fasste Winter die Lage zusammen.