Seit fünf Jahren gibt es die Palliativstation am Diakonie-Klinikum. In naher Zukunft zieht sie ins Wilhelmhospital um, das derzeit kernsaniert wird. In diesem Zuge soll die Station sowie das Angebot für Patienten und Angehörige noch erweitert werden.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Vor drei Wochen hat Käthe van de Sand erfahren, dass sie noch drei Monate hat. Mit dieser Diagnose hat sie die blaue Linie überschritten, die am Fußboden im Diakonie-Klinikum Stuttgart den Übergang von der Normal- zur Palliativstation markiert. Hier ist es ruhiger, es gibt weniger Patienten, aber mehr Personal, das sich kümmert. Nicht jeder, der hierher kommt, ist unmittelbar todgeweiht, aber er ist „austherapiert“. In Käthe van de Sands zierlich drahtigem Körper hat der Krebs gestreut. Sie wolle keine Chemo mehr, habe genug von Übelkeit, Entzündungen, Haarausfall. Sie erblicke keinen Sinn darin, das Sterben weiter aufzuschieben. „Ich bin happy auf der Palliativ, ich habe keine Schmerzen mehr“, sagte sie neulich. Solle er doch kommen, der Tod! In der vergangenen Woche ist Käthe van de Sand im Alter von 73 Jahren gestorben.

 

Es darf gelacht werden

Auf der Palliativstation werden schwerstkranke Menschen mit unheilbaren Erkrankungen und begrenzter Lebenszeit medizinisch behandelt, gepflegt und begleitet. Es geht darum, Leid zu lindern – Schmerzen, Atemnot, Angst, und das Voranschreiten von Krankheiten hinauszuzögern. Auch die Angehörigen gehören zur Behandlung und werden eingebunden, sofern der Patient dies wünscht. „Wir wollen die Lebensqualität der Menschen verbessern und verlängern“, sagt Martin Löw, der pflegerische Leiter der Palliativstation. In seinem Team arbeiten Ärzte, Pflegende, Therapeuten, Seelsorger, Psychoonkologen und Sozialarbeiter „auf Augenhöhe“, wie Löw sagt. „Wir betrachten die Patienten ganzheitlich – nicht bloß von ihrer Krankheit her.“ Die fast sprichwörtliche Krankenhaushierarchie habe in seinem interdisziplinären Team keinen Platz.

„Der Palliativ-Gedanke hat im Diakonie-Klinikum eine lange Tradition“, sagt Pia Pflichthofer von der Unternehmenskommunikation des Klinikums. In naher Zukunft zieht die Palliativstation in das Wilhelmshospital um, das derzeit kernsaniert wird. In diesem Zuge soll die Station erweitert werden. Das Stationsteam trifft sich morgens und spricht über jeden einzelnen Patienten: Was braucht er jetzt, um sich besser zu fühlen? Schmerzlindernde Maßnahmen, eine palliative Chemotherapie, ein Gespräch mit dem Seelsorger oder einen Therapeuten? „Man lernt die Menschen hier in kurzer Zeit sehr gut kennen“, erzählt Pfarrerin Ingrid Wöhrle-Ziegler, die Seelsorgerin im Team. „Die Gespräche sind sehr ehrlich, man kommt sehr rasch zu dem, was wirklich wichtig ist.“

Wenn ein Patient auf Station hinscheidet, wird vor dem kleinen Altarretabel im Korridor eine Kerze angezündet. Das Sterben gehört dazu. „Man muss hier als Besucher nicht mit gesenktem Kopf herumschleichen. Auf dieser Station wird auch gelacht – und viel“, sagt Martin Löw. Er hat die Palliativstation mitaufgebaut, im November 2011 ist sie eröffnet worden. „Das hier ist mein Traumjob! Es ist ein erfülltes Arbeiten, weil man Menschen hilft und, weil man ihre Dankbarkeit spürt. Ich hatte hier viele intensive Begegnungen.“ Löw erinnert sich an einen Mann, den er längere Zeit begleitete und den er gern hatte. Als klar war, dass es zu Ende geht, verabschiedeten sich Pfleger und Patient wie alle Tage: „Auf Wiedersehen, bis Dienstag!“ Löw hat diesen Abschied nicht vergessen. „Wir haben uns angeschaut und wussten, dass er am Dienstag nicht mehr leben würde.“

Ein Mal im Jahr halten die Mitarbeiter der Station eine Gedenkfeier für alle im vergangenen Jahr Verstorbenen ab. Ihr Arbeitsalltag ist von Abschieden geprägt – oft von Menschen, die man in kurzer Spanne intensiv kennen lernte. Das steckt man nicht so weg. Es wird eine Supervision für das Team angeboten, aber letztlich braucht jeder Mitarbeiter auch eine persönliche Strategie. „Hier hat jeder seine eigenen Rituale“, sagt Löw. „Wichtig ist, dass man sich bewusst ist, wo man arbeitet.“

„Ich habe immer einen Plan A und einen Plan B“, sagte Käthe van de Sand. Am Wochenende zuvor hat sie ihre „Sippe“ ins Diakonie-Klinikum gebeten, um ihre letzten beiden Planvarianten vorzustellen. „Ich wollte klarstellen, dass alles geregelt ist – Beerdigung, Erbschaft und so weiter.“ Auf der Station gibt es eigens ein Wohnzimmer für Besuche. Van de Sands Plan A lautete: „Man macht die Beerdigung groß.“ Die Namen der Gäste, die dazu eingeladen werden sollen, hat van de Sand in ihrem Adressbuch mit Bleistift angekreuzt. Die Namen mit zwei Kreuzchen sind im Falle von Plan B anzuschreiben, der kleinen Beerdigung. Die ehemalige Bankangestellte war ihr Leben lang gut organisiert, worauf sie bei aller Bescheidenheit, die die Dame sonst zierte, stolz ist. Warum sollte sie ausgerechnet bei ihrem letzten Auftritt nachlässig werden?

Dankbarkeit und intensive Begegnungen

„Ich habe keine Angst vorm Sterben aber vor Schmerzen. Ich will keine Verzögerung, aber alles, was mir Erleichterung verschafft.“ Käthe van de Sands freimütiger Umgang mit dem Sterben hätte verstören können, wäre da nicht ihr Humor gewesen, der ihr wie ein ein treues Tier zur Seite stand. Die Begegnung der Menschen mit ihrem Tod ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst, sagt Löw. Jeder ist anders, aber alle sind Laien. Das Interview mit van de Sand ist Kennenlernen und Abschied zugleich. Trauer mischt sich in die Begeisterung, auf so einen anregenden, wachen und heiteren Menschen zu treffen. Dies war einer jener Begegnungen, für die ein Journalist seinen Beruf liebt. Van de Sand war sehr gespannt gewesen, was für ein Artikel aus dem Gespräch resultieren würde. Nun erscheint er zu spät.