15 Jahre früher als bisher geplant will die Landeshauptstadt kein Kohlendioxid mehr ausstoßen. Dazu fehlen noch konkrete Maßnahmenpläne.

Die Mehrheit des Gemeinderats steht hinter dem Ziel, die Stadt Stuttgart nicht erst bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu machen, sondern bereits bis 2035, also 15 Jahre früher. Skeptisch dem gegenüber sind die Freien Wähler und die AfD. Doch der bindende Beschluss soll in der letzten Sitzung des Gemeinderates vor der Sommerpause Ende  Juli gefasst und zelebriert werden..

 

Die Tragweite der Entscheidung sei mindestens so groß wie die für das Bahnprojekt Stuttgart 21, der Beschluss „historisch“, so CDU-Chef Alexander Kotz. Er solle entsprechend gewürdigt werden, mit einem Dokument und Unterschriften von OB Frank Nopper (CDU), der Fraktionen und des Jugendrates, so der Vorschlag von Kotz am Freitag im Klimaausschuss. Er traf auf Wohlwollen, wiewohl Grünen-Chef Andreas Winter das Fehlen von Nopper im Ausschuss spitz anmerkte. Wenn man von historisch spreche, „wäre es schön, wenn der OB dann da wäre.“

Moniert wird, nicht nur von der Öko-Fraktion, das Fehlen detaillierter Vorschläge für die von der Beratungsfirma McKinsey definierten 13 Maßnahmenpakete zur Klimaneutralität. Man werde liefern, versprach Martin Körner, Leiter des Referats strategische Planung und nachhaltige Mobilität im OB-Büro. Die Maßnahmen wolle man im November im Klima-Bürgerrat zur Diskussion stellen. Der Ausschuss diskutierte, wie die Bürgerschaft zu Investitionen motiviert werden könne, zum Beispiel für Photovoltaikanlagen oder Wärmedämmung, immerhin geht es gesamtstädtisch nach der Rechnung von McKinsey um rund elf Milliarden Euro an Investitionen. Pro Jahr könnten aber auch rund eine Milliarde Euro an Energiekosten gespart werden, so Ruth Bosse von McKinsey.

Hundertmal mehr Solaranlagen als heute nötig

Sich Informationen über das neue Ziel zu beschaffen falle der Bürgerschaft bisher schwer, monierte ein Zuhörer am Rande der Sitzung, das 66 Seiten starke Papier von McKinsey finde sich auf der städtischen Homepage jedenfalls nicht. Um dem Faktor 100 müsse die Solarnutzung zunehmen, dazu müsse man die Menschen begeistern, sagte Michael Jantzer (SPD), dabei sei „die Sozialverträglichkeit aller Maßnahmen essenziell, denn das Ziel zu erreichen ist eine unglaubliche Anstrengung für die Stadtgesellschaft“.

Konrad Zaiß (Freie Wähler) sieht vor allem Verzicht und Einschränkungen, man drehe „alle Errungenschaften der letzten 50 Jahre zurück“. Wer wolle den Menschen sagen, dass sie weniger fliegen sollten und womöglich in Zulieferfirmen der Autoindustrie nicht mehr gebraucht würden? „Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung mitmacht, es wird einen Aufschrei geben“, so Zaiß.

AfD sieht ein „Wolkenkuckucksheim“

Christian Köhler von der AfD beschrieb das Ziel als „Wolkenkuckucksheim“, die energiepolitische Zukunft des Landes sei nicht absehbar, aber die CDU versuche, aus dem Thema Klimaneutralität politisches Kapital zu schlagen, so der AfD-Mann. „Wir müssen Ziele definieren, können aber nicht jede einzelne Maßnahme diskutieren“, warnte FDP-Chef Matthias Oechsner vor Klein-Klein im Rat. Klar sei: „Das wird jeden Geld kosten.“

Das neue Ziel bedinge eine Neuaufstellung in der Verwaltung und „ein nicht verhandelbares Kohlendioxid-Budget, über das jährlich Rechenschaft abgelegt und das bei Haushaltsbeschlüssen beachtet werden müsse“, sagte Hannes Rockenbauch für das Linksbündnis. Auch bisherige Beschlüsse müssten auf den Prüfstand, so Christoph Ozasek für Puls. Er fordert ein „Querschnittsreferat mit Durchgriffsrechten“. Für Jugendrat Leo Staritzbichler ist Klimaneutralität 2035 „pure Notwendigkeit, denn wir haben die bedrohlichste Krise der Menschheit vor uns“.