Der Kinderchirurg Hartwig Sauter hat seine ersten Berufsjahre in Westafrika verbracht. Der Kontakt in die Region riss nie ab. Seit 2017 ist er nun regelmäßig in Benin, um dort zu operieren. Beim seinem letzten Aufenthalt hat ihn ein Kollege begleitet.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Ein Zwillingspaar ist Hartwig Sauter besonders in Erinnerung geblieben. Ein Mädchen ist gesund auf die Welt gekommen, das andere mit einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte. Überraschenderweise sei das gesunde Mädchen die schüchterne von den beiden gewesen. In Deutschland könne die Fehlbildung „in jeder Stadt“ versorgt werden. Doch in Benin, wo die Zwillinge vor vier Jahren auf die Welt kamen, ist das anders. Dort gebe es nur zwei Krankenhäuser, in denen die Operationen vorgenommen würden. „Und in ihrer Region gibt es gar nichts“, sagt der Kinderchirurg.

 

Vor einigen Wochen ist der Stuttgarter mit einem Kollegen, Martin Hafner, nach Benin geflogen. Nicht um Ferien zu machen, sondern um an neun Tagen von morgens früh bis abends spät bei tropischen Temperaturen zu operieren – und dabei afrikanische Kollegen anzuleiten. Sauter als Kinderchirurg, Hafner als Anästhesist. Dass sie kommen würden, hatte sich zuvor wie ein Lauffeuer verbreitet: übers Radio und über Whatsapp erfuhren die Patienten von dem Einsatz. Entsprechend voll war dann auch der OP-Plan.

Ein 15-Jähriger schaut nun erstmals gerne in den Spiegel

Hartwig Sauter hat Eingriffe an 38 Kindern und einer Erwachsenen vorgenommen, vorwiegend waren es Spaltenoperationen wie bei dem Zwillingsmädchen, aber auch auch ein Mädchen mit einem Schlangenbiss, Kinder mit Fehlbildungen am Darm und Jungen mit Hodenhochstand waren für die OP angereist. Die Mund-Kiefer-Gaumen-Spalten seien für die Betroffenen auch psychisch eine riesige Belastung, so Sauter. „Da wird jedes Grinsen zur Grimasse, das ist wirklich ein Stigma“, sagt er. Umso größer sei die Dankbarkeit im Anschluss.

Ein 15-Jähriger zum Beispiel habe seit der Operation immer einen Spiegel dabei, weil er nun gerne hinein guckt, es früher aber nicht wagte. Aber, das erwähnt der Stuttgarter Arzt auch, eigentlich sei es mit einem Eingriff nicht getan. An der Nachsorge hapere es: In Benin gebe es keine Logopäden, die mit den Kindern das Sprechen und das Schlucken trainierten, wie es in Deutschland üblich ist. „Für die Leute ist es trotzdem ein Riesenunterschied“, operiert worden zu sein, sagt er. Sie fühlten sich nicht mehr als Aussätzige.

Kinderchirurg hat seine ersten Berufsjahre in Afrika verbracht

Während es für Martin Hafner der erste Einsatz in Benin war, ist es für Hartwig Sauter bereits der vierte gewesen. Der 59-Jährige hat einen langjährigen persönlichen Bezug zu dem ehemaligen Missionskrankenhaus in Benin. Hier hat er 1986 bis 1988 seine ersten Berufsjahre verbracht – schon damals war seine Ehefrau Marina an seiner Seite. Die Krankenschwester unterstützt die Einsätze tatkräftig an den Krankenbetten. Die Kontakte des Ehepaares in die Region sind nie abgerissen, bei einer Reise 2016 zurück an die alte Wirkungsstätte habe er die schlechte kinderchirurgische Versorgung bemerkt, so Sauter. Dabei sei der Bedarf riesig: Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liege bei 15 Jahren.

2017 kam er wieder – diesmal als Arzt. Einer seiner ersten Patienten damals: ein acht Jahre alter Junge, der mit Morbus Hirschsprung, einer seltenen Darmerkrankung auf die Welt gekommen ist, bei der die Entleerung gestört ist. „Er hatte einen riesigen Bauch“, erzählt Sauter, der in der Klinik Ludwigsburg die Sektion Kinderchirurgie leitet. Er habe die Kollegen damals über die Krankheit aufgeklärt, bei der eigentlich das erkrankte Stück Darm entfernt wird. Dieses Mal seien ihm Kinder, die ein oder zwei Jahre alt waren, gezeigt worden. „Bei ihnen kam man schneller auf die Idee, sie zu behandeln“, die Schulung habe also gewirkt. Auch dem Mädchen Bassima hat er bei einem seiner vorherigen Einsätze geholfen: Sie leidet an Noma, einer Entzündung, die mit der Zerstörung des Gewebes einher geht und meist im Gesicht auftritt. Ohne Behandlung führe diese bei 90 Prozent der Betroffenen zum Tod, so Sauter.

Beatmung von Kindern per Hand

Weil es in dem Krankenhaus keine Anästhesisten gibt, ist Martin Hafner, der ebenfalls in der Klinik Ludwigsburg arbeitet, mitgeflogen, um das Personal fortzubilden. Auch für ihn war das eine Herausforderung. Das Krankenhaus habe kein Beatmungsgerät für Kinder unter zehn Kilogramm. „Dann sitzt man da und beatmet drei oder vier Stunden von Hand – das muss gehen, und das geht auch“, berichtet er und drückt während er spricht kräftig mit der Hand in die Luft. Ihm ist die große Materialknappheit aufgefallen. Was bei ihnen im Krankenhaus Einmalmaterial sei, das anschließend weggeworfen werde, werde dort gewaschen und so lange verwendet, bis es kaputt sei. „Es geht nicht anders“, sagt der Anästhesist.

Hartwig Sauter hat inzwischen einen gemeinnützigen Verein gegründet: Kinderchirurgie in Afrika, um die kinderchirurgische Versorgung und Ausbildung in dem Kontinent zu verbessern. Mehr Informationen dazu finden sich im Internet auf seiner Homepage. Und auch der nächste Einsatz ist schon geplant. Im Frühjahr geht es wieder los.