Die Zusammensetzung der Wohngemeinschaft aller Bakterien im Darm hat Einfluss auf den ganzen Körper – auch auf die Psyche. Wenn Schadstoffe die schützende Schleimhaut zerstören, verändert sich auch die Darmflora. Krankheiten sind die Folge.

Stuttgart - Jeder Mensch lebt in einer Wohngemeinschaft. Gemeint sind damit die winzigen Mitbewohnern auf unserer Haut und überall im Körper. Hier tummeln sich Billionen von Bakterien. Mikrobiom nennt diese Gemeinschaft, ohne die ein Leben gar nicht vorstellbar wäre. Ohne die bakterielle Lebensgemeinschaft im Körper könnte man beispielsweise weder essen noch trinken, den Stoffwechsel aufrecht erhalten oder sich gegen Erreger wehren.

 

Im Mund etwa tummeln sich Bakterien, welche die Nahrung zerkleinern und verdauen, gleichzeitig aber auch Karies verursachen, je nach Zusammensetzung. Im Magen wird die ätzende Magensäure mit fast allem fertig, was man schluckt. Doch einige Bakterien überleben selbst dieses unwirtliche Milieu. Und im Dickdarm sorgt ein ganzes Heer verschiedener Bakterien für das Wohlbefinden – mehr als 1000 Arten wurden bisher identifiziert. Wie genau jedoch diese Wohngemeinschaft zusammenlebt und was passiert, wenn sie gestört wird, ist noch nicht genau bekannt, wie beim Symposium „Der Darm – das unbekannte Wesen“ beim Ärztekongress deutlich wurde.

„Das Mikrobiom wird von außen durch die Schleimhäute geschützt“, erklärte der Kieler Internist Claus-Hermann Bückendorf . Durch Stress, Gabe von Antibiotika, Alkohol, Nikotin und diverse Chemikalien könne die Schleimhaut geschädigt werden. Dies wiederum störe das Mikrobiom. Die Folge davon seien Krankheiten, die alle Organe des Menschen betreffen könnten. Die Darmflora spiele nicht nur eine Rolle bei der Entstehung etwa des Reizdarmsyndroms. Auch Allergien, Autoimmunerkrankungen, diverse Entzündungsreaktionen oder auch psychische Probleme seien die Folge, wenn das bakterielle Milieu nicht mehr stimme. Nicht selten würden die akuten Erkrankungen schließlich chronisch.

Bakterien verändern die Psyche

Möglicherweise können die unzähligen Winzlinge sogar das menschliche Verhalten und die Psyche beeinflussen. So haben vor allem Studien an Tieren gezeigt, dass eine gestörte Darmflora ein Risikofaktor für Depressionen sein könnte. Schwedische Forscher beispielsweise verglichen Mäuse ohne Darmflora mit normalen Versuchstieren. Die keimfreien Nager verhielten sich weniger vorsichtig und ängstlich. Auch der Vergleich der Darmflora von autistischen Kindern mit nicht auffälligen Kindern zeigte, dass die autistischen Kinder mit einer deutlich veränderte Mikroflora lebten. „Es fehlten drei Gruppen von Darmbakterien“, berichtete Bückendorf bei dem Symposium. Allerdings lässt sich grundsätzlich nicht klären, ob das Mikrobiom das Verhalten ändert oder das psychische Verhalten Einfluss auf die Darmflora hat.

Wenn die schützende Schleimhaut defekt ist, nennt man dies das Leaky-gut-Syndrom, den „leckenden Darm“. Durch die porösen Darmwände können schädliche oder ungenügend verdaute Teilchen passieren, in den Blutkreislauf und in Gewebe und Organe gelangen. Die Folge sind diverse Erkrankungen.

„Die Verdauung beginnt im Mund und nicht erst im Darm“, erklärte der Zahnarzt Lutz Höhne. Daher könnten sich Schadstoffe im Mund auf den gesamten Organismus auswirken. Schlecht verarbeitete Kronen oder Prothesen oder das falsche Material könnten fatale Wirkungen haben und zu diversen chronischen Erkrankungen führen – meist brauche es jedoch detektivische Feinarbeit, um die Ursache der Erkrankung schließlich im Mund zu finden. „Speichel ist aggressiver als Meerwasser“, machte der Zahnmediziner seinen humanmedizinischen Kollegen deutlich.

Viele Jahre wurden in der Zahnmedizin Materialien verwendet, die vom Speichel problemlos angegriffen werden konnten. Unter dem Mikroskop könne man bei nicht sauber verarbeiteten Implantaten, Kronen oder Prothesen die Risse und Löcher gut erkennen, aus denen oft jahrelang unbemerkt Metalle ausgetreten sein könnten. Problematisch sei vor allem Titan, sagte Höhne. Auch Zahnspangen enthielten immer wieder Substanzen, die in den Körper übergehen könnten. Zudem sei auch Kunststoff nicht gefeit vor der aggressiven Zersetzung durch den Speichel – dies sei sehr viel weniger problematisch als Metall. Bei chronischen Erkrankungen sollte man daher immer auch an den Zahnarzt denken, appellierte Höhne an seine Kollegen. Doch was sollte man sich denn nun in den Mund machen lassen, wollte einer dieser Kollegen wissen? Keramik empfiehlt der Fachmann, denn Keramikoxide seien stabil. Diese könnten von den Enzymen im Speichel nicht so einfach geknackt werden.