Mit ihren Bars haben sie die Altstadt verschönert: Jetzt sind zwei Szenewirte ausgestiegen und starten in Valencia zu einer Reise ohne Ziel. In Stuttgart hat ihnen „das Jammern auf unglaublich hohem Niveau“ zu schaffen gemacht.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - „Abschreckend und einladend zugleich“ ist für Steffen Witz das Stuttgarter Rotlichtquartier, in dem er – direkt neben den Laufhäusern und über seiner Fou-Fou-Bar – jahrelang mit Mann und Hund gelebt hat. Wenn der 43-Jährige über das Leonhardsviertel spricht, seine Heimat auf Zeit, spart er nicht an Emotionen. „Die schief aneinander gereihten Häuser bieten eine besondere Atmosphäre in einem vibrierenden Mix“, schwärmt er. „Unübersichtlich, aber nicht zu chaotisch“ sei das Viertel, das beschaulich sei, aber seiner Meinung nach unzutreffend „Städtle“ genannt wird.

 

Seit 2016 hat Steffen Witz mit seinem Mann Marcel Henke die Fou Fou-Bar geführt, die er eine „alte Lady“ nennt, die zu viele Männer gehabt hätte. „Nach und haben wir diese Lady herausgekauft“, sagt der 43-Jährige, „und ihre Schulden beglichen.“

„Sailing Affairs ist unser nächstes Abenteuer“

Im September 2017 übernahmen die beiden auch noch die heruntergekommene Animierbar Carole dazu, die sich gegenüber vom Fou Fou befindet, und machten daraus die ebenso erfolgreiche Gin-Bar Botanical Affairs. So wurden Steffen und Marcel zu Protagonisten des Wandels der Altstadt, der weg vom Schmuddel führt und hin zu neuen, frischen Farben in der Rotlichtstraße.

Jetzt sind die beiden die Herren eines 15 Meter langen Segelboots, das sie auf den Namen Comedia getauft haben. Im spanischen Valencia machen sie gerade das Schiff vom Typ Bavaria 49 aus dem Jahr 2003 startklar. „Sailing Affairs“ ist ihr nächstes Abenteuer. Zu zweit und mit dem Hund Paul, einem Bodengo-Mischling, wollen sie „lossegeln, wohin uns die Winde des Mittelmeers auch immer bringen werden“. Ihre Bars haben sie an den Bruder von Steffen Witz übergeben.

Vor acht Jahren war er „total abgebrannt“

„Wir haben Stuttgart auch mit einem weinenden Auge verlassen“, versichert der Aussteiger, „da die Stadt einem immer die Möglichkeit gibt, von vorne anzufangen.“ Ein einmal geknüpftes Netzwerk bleibe hier sehr lange erhalten. Schon einmal befand er sich auf Weltreise. „Als ich vor acht Jahren wieder nach Deutschland zurückkam, war ich total abgebrannt“, erzählt er, „von einem unseriösen Partner aus meinem Hotel in Bali vertrieben und zur Flucht nach Deutschland gezwungen - das waren harte Zeiten.“

Dann hat er Marcel kennengelernt und freut sich: „Aus anfänglichen Dates, wo ich mir den Wagen meines Vaters und fünf Euro von meiner Mutter ausgeliehen habe, um ihn in Tübingen zu besuchen, entstand eine feste und liebevolle Partnerschaft.“ In Büros und Bars arbeiteten sie, wurden schließlich in der Altstadt Chefs zweier Stationen der Nacht, die sich mit Barkultur einen guten Namen machten. „Obwohl alles zum Besten lief, waren Stuttgart und ich in Hassliebe gefangen“, sagt Steffen Witz, „zum Wiederaufstehen und Ansammeln von Geld gibt es keinen dankbareren Ort.“ Doch die „zunehmende Unzufriedenheit der Stuttgarter, das Jammern auf unglaublich hohem Niveau und fehlende Achtsamkeit“ hätten ihm und Marcel immer mehr zu schaffen gemacht. Die Idee entstand, ein neues Leben zu beginnen.

„Alte Seebären schwören auf dieses Modell“

Es nütze nichts, sich zu beschweren, man könne nur sich selbst ändern. „Daher ist der Weggang aus der Heimat keine Flucht“ Jetzt ist ein 15 Meter langes Schiff ihr neues Zuhauses. „Die Comedia ist super erhalten und bietet allen Komfort, den man sich als Segler wünschen kann“, sagt der langjährige Wirt, „alte Seebären schwören auf dieses Modell.“ Zwar habe die Zeit auch an ihr gezerrt, aber mit ihr könne man jeden Sturm trotzen.

„Weg vom Verbrauch, hin zum Gebrauch“, lautet das Motto der ausgewanderten Stuttgarter. „Uns blutet das Herz, wenn wir tolle, ältere Yachten in Häfen verrotten sehen“, sagt Steffen Witz. Im ersten Jahr will er allein mit Mann und Hund segeln, im zweiten Jahr auch limitierte Turns anbieten. Sie wollten zwar davon leben, aber sich nicht bereichern. Der 43-Jährige erklärt seinen Plan: „Man kann mit uns segeln und tauchen, in der Bucht paddeln oder Yoga zelebrieren, eine Hafenstadt erkunden und Feste besuchen. Oder bei einem Gin Tonic am Strand über alte und kommende Zeiten sprechen – oder noch besser ausgedrückt: im Jetzt sein.“

Wovon viele träumen, machen die beiden wahr

Sein weiterer Traum: Einen schönen Ort wollen sie finden, eine alte Industriebrache oder verlassene Fischerei am Strand, um diese „zu einem Zentrum für Freunde umzubauen“. Alternativer Tourismus schwebt ihnen vor. Über ihre Reise wollen die beiden auf www.sailingaffairs.de (auch bei Instagram sind sie unter diesem Namen aktiv) berichten. Wunderbare Fotos und Erzählungen regen im Netz zum Mitreisen im Kopf an.

Wer hart arbeitet, tut gut daran, irgendwann in Erlebnissen zu investieren. Wovon viele träumen, machen die beiden wahr.