Während des Spiels ein Schluck aus der Wasserflasche? Oder in der Halbzeitpause ein Biss von der energieliefernden Banane? Nein, das ist verboten! Hunger und Durst bestimmen die Gefühlswelt, die Konzentration lässt nach, und die Kraft ist schwer zu mobilisieren. Woher soll sie auch kommen, diese Kraft? Nichts essen, nichts trinken – und dennoch die beste sportliche Leistung abrufen. Diesen Spagat meistern seit knapp vier Wochen auch im Bezirk Stuttgart zahlreiche muslimische Amateurfußballer, die den Fastenmonat Ramadan praktizieren, welcher in zwei Tagen endet. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang dürfen gläubige und gesunde Muslime kein Gramm Nahrung zu sich nehmen; so steht es im Koran, der heiligen Schrift des Islam.
Ein nicht ungewohntes Bild während des Ramadans: Spieler unterbrechen das abendliche Training mit den Teamkollegen, um die erste Mahlzeit seit mehr als zwölf Stunden zu sich zu nehmen. Denn während den Trainingszeiten unter der Woche geht meist die Sonne unter. Zeit für die Muslime, das Fasten für diesen Tag zu brechen. Es ist eine kleine Mahlzeit, danach geht es weiter mit der Übungseinheit. Bei den Spielen, die meist tagsüber ausgetragen werden, dürfen gläubige Muslime das Fasten nicht brechen. „Das ist ein extremer Unterschied zu sonst“, sagt Nedim Pepic. Der Spieler des Verbandsligisten Calcio Leinfelden-Echterdingen nimmt jährlich am Fasten teil, seit er 19 ist.
Calcios Pepic fehlt die Kraft
Zu Beginn setzte Pepic das Fasten an Spieltagen aus. Das machen manche Muslime, damit sie ihre volle Leistung abrufen können, und hängen die versäumten Tage hinten an. Zuletzt zog der 25-Jährige es aber kompromisslos durch. „Man gewöhnt sich daran, aber es fehlt auf jeden Fall an Kraft“, sagt Pepic, der sich glücklich schätzt, dass die Vereine, bei denen er spielte, nie ein Problem in der Ausübung seines Glaubens sahen. „Die haben das immer respektiert und akzeptiert.“
„Nach dem Spiel ist die schwierigste Zeit. Es ist dann 17.30 Uhr, und es sind noch zwei oder drei Stunden, die man überstehen muss, bis man etwas essen darf“, berichtet der Calcio-Kicker, der aber nicht nur das Herausfordernde im Ramadan sieht, sondern eine gute Tat. „Ich glaube, wenn man das durchzieht, wird man vom lieben Gott belohnt“, sagt Pepic. Für den Sport mal nicht zu fasten: kaum mehr vorstellbar für ihn.
Keine religiöse Diskriminierung bei Türkspor
Beim Bezirksligisten Türkspor Stuttgart fastet zurzeit etwa die Hälfte des Kaders. „Bis jetzt habe ich kaum Unterschiede gemerkt“, sagt der Trainer Damir Bosnjak. Einschränkung: „Beim ein oder anderen merkt man schon, dass die Kraft etwas fehlt.“ Für den Coach, der selbst Katholik ist, ist der Verschleiß jedoch kein Grund, Spieler auf die Bank zu setzen. Das hielte er für religiöse Diskriminierung. „Wenn einer keine Power mehr hat, wechsle ich ihn eben aus“, sagt Bosnjak.
99 Prozent des SV Özvatan fasten
Noch größer ist der Anteil betroffener Spieler beim SV Özvatan Stuttgart. Der sportliche Leiter und Stürmer Yavuz Selim Demir sagt, 99 Prozent seiner Mannschaft seien Muslime, die den Ramadan praktizieren. In diesem Zeitraum bemerkte er beim Tabellenführer der Kreisliga-B-Staffel 1 bislang aber keinen Leistungsverlust – im Gegenteil. „Ich habe das Gefühl, wenn wir fasten, spielen wir sogar besser“, sagt Demir, der ebenfalls dem Glauben folgt und entsprechend fastet. Klar seie es „unangenehm, wenn man nichts trinken darf, der Glaube ist aber sehr stark“.
Konzentrationsschwächen kämen freilich auf, sodass er Anweisungen auf dem Spielfeld mehrmals verkündet, da seine Mitspieler nicht vollends aufnahmefähig seien. Den Mund auszuspülen, ohne dabei Wasser zu schlucken, oder sich das Gesicht zu waschen, helfe bei der herausfordernden Aufgabe. „Es ist ein Kampf mit sich selbst“, sagt Demir, aber: „Ich habe noch nie erlebt, dass jemand wegen des Fastens umgekippt ist.“ Beim SV Özvatan haben sie es zum Ritual gemacht, an einem Abend während des Ramadans nach Sonnenuntergang gemeinsam im Vereinsheim das Fasten zu brechen. „Das ist immer ein Fest“, erzählt Demir.
Was ist eigentlich der Fastenmonat Ramadan?
Was und wann?
Der Ramadan ist der neunte Monat des islamischen Mondkalenders. Während dieser Zeit (heuer 22. März bis 21. April; der Zeitraum verschiebt sich jährlich um zehn bis elf Tage nach vorne) fasten weltweit 1,9 Milliarden Muslime, indem sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang weder essen noch trinken. Rauchen und Sex sind ebenfalls verboten – und Lügen, Fluchen oder „boshafte Taten“ in dieser Zeit noch mehr als sonst. Ausgenommen sind vom Fasten Kranke, Altersschwache, Schwangere, stillende Mütter, Frauen in der Menstruation, Kinder und weitere Personen, bei denen man gesundheitliche Schäden befürchtet.
Warum?
Der Fastenmonat Ramadan stellt einen Grundpfeiler des islamischen Glaubens dar, da sich Muslime in diesem Zeitraum voll und ganz auf Gott konzentrieren sollen, sich besinnen und innerlich einkehren können. Am Ende des Ramadans findet ein dreitägiges Fest des Fastenbrechens statt – das Zuckerfest.