Eine Anwohnerin des Nordbahnhofviertels hat wegen des Abrisslärms in ihrer Nachbarschaft die Miete gekürzt. Unversehens kam dabei aber auch das Thema Stuttgart 21 aufs Tapet. Wie viel Baulärm ist verträglich?

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Anette Heiter schwankte zwischen Überraschung und Zufriedenheit. „Schön, wenn der Saal mal voll ist“, sagte die Richterin am Amtsgericht, deren Verhandlungen in Mietsachen und Streitigkeiten unter Wohnungseigentümergemeinschaften eher selten die Massen mobilisieren. Anders am Montagmorgen, als sich eine Frau aus dem Nordbahnhofviertel vor Gericht mit ihrer Vermieterin, der Eisenbahn-Siedlungsgesellschaft, stritt. Die Frau hatte die Miete gekürzt. Der von Baustellen in der direkten Nachbarschaft ausgehende Lärm hätte sie stark beeinträchtigt, so die Argumentation.

 

Der Grund für die vollen Zuschauerränge: Durch die Hintertür ging es dabei auch um die Frage, wie viel durch Stuttgart 21 verursachter Baustellenlärm zumutbar ist. Zwei Handvoll Interessierte, die sich mit Buttons als Gegner des milliardenschweren Bahnprojekts zu erkennen gaben, wollten sich dieses erstmals vor Gericht ausgebreitete Thema nicht entgehen lassen.

Abriss eines Nachbargebäudes belastet Mieterin

Der Betroffenen ging es zunächst aber lediglich um die Belastungen, die sie erdulden musste, weil eine ehemalige Autowerkstatt an der Nordbahnhofstraße abgerissen wurde. Dort ist Platz geschaffen worden für einen Neubau von Eigentumswohnungen, der 2016 begonnen werden soll. Die Abrissarbeiten waren im November 2014 losgegangen und zogen sich bis Ende Januar 2015 hin. Dafür kürzte die Nachbarin in den Monaten Dezember und Januar die Miete. Dabei ging es um rund 318 Euro. Angesichts der überschaubaren Höhe des Betrags schlug Heiter der Vermieterin eine Klagerücknahme vor. Doch die Vertreter der Eisenbahn-Siedlungsgesellschaft kamen nach kurzer Beratung mit ihrer Anwältin Helena Sophia Wirsing zu einer anderen Entscheidung. Statt die Sache auf sich beruhen zu lassen, weiteten sie ihre Klage sogar aus. Denn auch in den Monaten März und Mai bis August überwies die Bewohnerin nur eine – wenn auch in geringerem Umfang – gekürzte Miete. Und damit war das Thema Stuttgart 21 auf dem Tisch. Denn in diesem Zeitraum waren die Abrissarbeiten am Nachbargebäude längst erledigt. Stattdessen waren aber Lastwagen mit S-21-Baumaterial in Hörweite der Beklagten unterwegs.

Ursel Beck von der Mieterinitiative Stuttgart, die auch auf den Zuschauerbänken saß, zeigte sich „sehr interessiert“ daran, dass das „Thema Baulärm bei Stuttgart 21“ auch einmal gerichtlich aufgearbeitet wird. Sie weiß von einer weiteren Mieterin im Nordbahnhofviertel, die aus dem selben Grund einen Teil ihrer Miete einbehält.

Entscheidung fällt im Oktober

Auch Anette Heiter rechnet offensichtlich mit weiterem Klärungsbedarf. Während der Hausabriss ja etwas gewesen sei, das einigermaßen schnell vorüberging, „ist Stuttgart 21 etwas, woran wir alle noch viel Freude haben werden“, prognostizierte die Richterin. Bis Ende September hat die Vermieterin nun Zeit, ihre erweitere Klage zu begründen. Binnen 14 Tagen danach muss Claus-Joachim Lohmann, Anwalt der Mieterin, Stellung dazu nehmen. Anette Heiter hat sich das Okay aller Beteiligten geholt, das weitere Verfahren schriftlich zu führen. Eine Entscheidung soll in der zweiten Oktoberhälfte fallen. Ob das Urteil das letzte Wort in der Sache ist, muss abgewartet werden. Mit den nun geforderten mehr als 790 Euro ist der sogenannte Berufungsstreitwert überschritten – eine Fortsetzung also nicht ausgeschlossen.