Philipp Winnige wurde vergangenen Herbst auf seiner Fahrradreise durch Südamerika brutal überfallen und musste die Reise abbrechen. Vor wenigen Tagen ist er heil vom zweiten Anlauf seines großen Abenteuers in den Stuttgarter Osten zurückgekehrt.

S-Ost - Einer der Gründe für die 10 000 Kilometer lange Reise von Kolumbien nach Feuerland ist der Dokumentarfilm, den Philipp Winnige als Abschlussarbeit an der Merz-Akademie in ein paar Wochen einreichen wird. „Eigentlich wollte ich darin zeigen, was mit einer Freundschaft passiert, wenn man zusammen für sechs Monate durch dick und dünn geht“, erzählt der 25-Jährige, der Gestaltung, Kunst und Medien studiert. Doch dann kam alles anders – und der Film wird nun zeigen, dass das Leben nicht immer so läuft, wie man es plant. Viele hätten ihn für sein Abenteuer beneidet und bewundert – auf seinem Instagram-Account „feuerlandfrei“ konnte man seine Reise mitverfolgen. „Jetzt will ich zeigen, dass es gar nicht so geil ist, mit dem Fahrrad durch Südamerika zu fahren“, sagt er lachend.

 

Konflikte mit dem Vater

Die Reise, die er im zweiten Anlauf mit seinem Vater und in der letzten Etappe mit Freunden unternommen hat, sei vor allem ein ein kraftraubendes Abenteuer gewesen: „Es war kein Urlaub, es war überanstrengend, ein ständiger Kampf – ich habe 100 mal daran gedacht, dass ich sofort nach Hause will.“ Vor allem steile Berge, karge Landschaften und der Gegenwind in Patagonien hätten ihm am meisten zu schaffen gemacht. Je näher er ans Ziel kam, desto schlimmer wurde es. Der körperliche Schmerz lasse irgendwann nach, der Körper gewöhne sich daran. „Es ist die mentale Anstrengung, die man teilweise kaum aushält“, erzählt er rückblickend. „Ich habe relativ häufig gedacht: was zum Teufel mach ich hier eigentlich?“ Auch die Konflikte mit seinem 61-jährigen Papa habe er unterschätzt. Denn bei einer so intensiven Tour lerne man den Charakter des anderen doch noch mal anders kennen. „Da hat oft ein Wort gereicht und die Dämme sind gebrochen – doch es war auch immer wieder relativ schnell okay.“ Schließlich habe man ein gemeinsames Ziel.

Den Strapazen stünden allerdings die vielen positiven Erlebnisse gegenüber. Zum Beispiel habe ihm der Atem gestockt in der Salzwüste in Bolivien: „Das war so ein krasses Erlebnis, weil man ringsum nur den weißen Boden sieht und dazu den blauen Horizont.“ Der Sonnenuntergang in dieser Umgebung sei das Schönste gewesen, was er landschaftlich jemals gesehen hat. Neben der Landschaft haben ihn vor allem die Menschen und ihre Gastfreundschaft berührt. Sein beeindruckendstes Erlebnis sei die Einladung einer chilenischen Familie gewesen, den Heiligen Abend mit ihnen zu verbringen. „Bei uns in Deutschland wäre es undenkbar, an Weihnachten fremde Menschen ins Haus zu holen“, ist er sich sicher. Weil sein Vater und er das Fest zum ersten Mal ohne Mutter und Bruder verbringen mussten, freuten sie sich umso mehr. Sie bekamen nicht nur ein leckeres Menü mit Fisch, Meeresfrüchten und Avocado serviert, sondern auch einen amüsanten Einblick in chilenische Traditionen am Heiligen Abend: „Bei der Bescherung hatte einer die Moderation übernommen und ein Geschenk nach dem anderen überreicht – jeder Übergabe folgte ein lautstarkes Gekreische und eine Umarmung.“ Im Anschluss daran wurde eine gemeinsame Familienschlacht mit Spielzeugpistolen veranstaltet. „Da haben wir auch mitgespielt, das war alles schon etwas skurril“, erinnert er sich.

Mitten in der Nacht ausgeraubt

Sieben Wochen war er mit seinem Vater unterwegs, den Rest der rund viermonatigen Reise wurde er von drei Freunden begleitet. „Alleine hätte ich es mir nicht vorstellen können.“ Übernachtet haben die Fahrradreisenden stets in Hostels oder auf Campingplätzen, was unter anderem auch mit einem Deal mit seiner Freundin zu tun hatte. „Das war die Bedingung, dass ich überhaupt nochmals los durfte.“ Denn die erste Etappe, die er im Oktober mit einem Freund startete, endete bereits nach drei Wochen in Ecuador: Die beiden Freunde wurden mitten in der Nacht in ihrem Zelt auf einem Feld mit Macheten bedroht, gefesselt und ausgeraubt. „Ich habe das Erlebnis ganz gut verarbeitet, nur wegen des fehlenden Filmmaterials bin ich echt sauer.“ Rückblickend gesteht er heute: „Wir wurden aufgrund der extremen Freundlichkeit der Menschen zu unvorsichtig – das Zelt für jeden sichtbar auf einem Feld aufzuschlagen war einfach sehr naiv.“

Sein Fazit: Er ist glücklich und erleichtert, dass er es mit dem Rad bis Ushuaia in Argentinien – dem südlichsten Ort der Welt – geschafft hat. „Ob ich es noch mal machen würde? Auf keinen Fall!“, bekennt er. Denn ein Wert der Reise, der ihm immer mehr bewusst werde, sei Dankbarkeit: „Ich bin mir jetzt erst richtig bewusst, wie gut wir es in Deutschland haben.“