Sie leben seit Jahren in Stuttgart, sind in Taiwan geboren: die Frauen aus dem Vorstand der Chinesischen Schule Stuttgart in Feuerbach. Von hier beobachten sie, wie sich der Konflikt zwischen Taiwan und China zuspitzt.

Volontäre: Jana Gäng (jkg)

Wird Wasser in einem Topf nur langsam heißer, bemerkt der Frosch darin die Gefahr nicht. Wer in der Politik vor schleichenden Gefahren warnen will, bemüht diese Fabel gern. Für Chin-Chih Fang aus Böblingen sind es die Menschen in Taiwan, die im Topf sitzen. Kein Gefühl für die Gefahr hätten da viele, sagt sie. Und das, obwohl das Wasser – um im sprachlichen Bild Fangs zu bleiben – heißer geworden ist, seit der jüngsten chinesischen Militärmanöver infolge des Taiwan-Besuchs der US-Politikerin Nancy Pelosi. Taiwan reagierte mit eigenen Militärübungen. „Das Thema prägt uns schon so lange. Ich glaube, die Leute verdrängen das Gefühl“, sagt Fang.

 

„Die Reaktionen in Taiwan sind dieses Mal heftiger“

Biologen wissen: Die Frosch-Geschichte ist falsch. Das Tier merkt es doch. Dazu passt, wie Karen Chen die Stimmung in Taiwan wahrnimmt. Zwar seien die Menschen ziemlich gelassen, sagt sie: „Aber die Reaktionen sind dieses Mal heftiger.“ Beide Frauen leben seit mehr als zwanzig Jahren im Raum Stuttgart. Geboren sind sie in Taiwan – wie alle Vorstandsmitglieder des Vereins Chinesische Schule Stuttgart.

Taiwanesinnen gründeten den Verein in Stuttgart im Jahr 1995. Noch heute sind es fast ausschließlich Frauen aus Taiwan, Mütter von Schulkindern, die ihn am Laufen halten. An den Wochenenden bieten die Vereinsmitglieder chinesischen Sprachunterricht an, feiern jedes Jahr gemeinsam mit den Schülern und deren Familien und Freunden das chinesische Neujahrsfest. Im Unterricht werde viel über Kultur gesprochen, sagt Pei Fen Chiang-Mayer, über Teezeremonien, Kalligrafie, Tanz, Feiertage und mit welchen Speisen sie verbunden sind.

Kinder von Eltern aus Taiwan, Hongkong oder Singapur lernen hier

Dass sich der Konflikt zwischen Taiwan und China in den vergangenen Wochen zugespitzt hat, darüber habe sie nicht mit den Kindern in ihrer Klasse gesprochen, sagt Pei-Mei Lee: „Sie sind zu jung und interessieren sich noch nicht dafür.“ Mit Politik habe der Verein nichts zu tun, sagt Chiang-Mayer: „Wir haben auch zwei Lehrerinnen aus China, eine ist seit 14 Jahren dabei. Nie haben wir gesagt, dass wir eine Schule aus Taiwan sind und nur Taiwanesen zu uns kommen sollen.“ Und doch sind es vor allem Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil in Taiwan geboren ist, die die Kurse besuchen. Auch Eltern aus Hongkong oder Singapur würden ihre Kinder häufig bei ihnen und nicht bei einer der anderen chinesischen Sprachschulen in Stuttgart anmelden, sagt Chiang-Mayer: „Wegen des politischen Hintergrunds natürlich.“ Kinder mit Eltern vom chinesischen Festland sind in der Minderheit.

Außerhalb der Schule aber, sagt Pei Fen Chiang-Mayer, sei der Pelosi-Besuch und was darauf folgte für sie ein riesiges Thema. Gefährlich finde sie den Konflikt: „Hier in Stuttgart sind wir unruhiger als Familie und Freunde vor Ort.“ Und doch habe es auch etwas Gutes. Sogar die Nachbarn hätten sie darauf angesprochen, gefragt, wie es ihr gehe – eine Chance, über ihre Kultur zu erzählen, sagt Chiang-Mayer. Es sei gut, dass über Taiwan nun viel berichtet werde, sagt auch Schulleiterin Karen Chen: „Fast nur die positive Seite.“ Jetzt wisse auch jeder, sagt Fang, dass sie aus Taiwan komme und nicht aus Thailand. Viele am Tisch können von einer Thailand-Taiwan-Verwechslung berichten, von diskriminierenden Stereotypen. „Die Leute sagen hier, wir sehen alle gleich aus – Koreaner, Japaner, Taiwanesen“, sagt Chiang-Mayer. „Aber meine Identität ist wichtig für mich. Ich bin keine Deutsche. Ich bin eine Chinesin.“

Als Chinesinnen bezeichnen sich andere der Frauen nicht. „Ich bin Taiwanesin“, sagt Pei-Mei Lee. Einige stimmen zu. Am Tisch sprechen die Frauen über die Wurzeln der taiwanesischen Kultur in der chinesischen. Sie sprechen über die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Taiwan und China. Gut seien die, für beide Seiten. Jetzt würden sich die Kuchen für das Mondfest im September in Taiwan stapeln, wegen der Wirtschaftssanktionen. Sie sprechen über Väter und Großväter, die in China geboren sind, von chinesischen Bekannten und von der gemeinsamen Sprache. Von Freunden, deren Kinder in China studieren. Davon, dass Lee fünf Jahre lang in Shanghai lebte.

„Diese Verbundenheit ist normal für uns“, sagt Pei Fen Chiang-Mayer. Von Verbundenheit spricht sie, aber sie sagt auch, dass sie ab einem gewissen Punkt auf Abstand gehe. Dass sie Bekannte und Freunde aus China habe, aber keine engen Freunde. Sie sagt: „Oben steht die Politik, aber unten sind wir Menschen gleich.“ Später sagt sie, dass sie in einigen Dingen Unterschiede empfinde. In manchen Ansichten sei das für sie so, Haltungen. Pei-Mei Lee sagt, dass sie in China das Gefühl gehabt habe, nicht immer offen sprechen zu können. Dass sie deswegen immer wieder nach Hongkong gefahren sei: „Aber das ist vielleicht eher das Psychologische.“

Auch in Stuttgart empfinden sie Distanz

Und wie ist es in Stuttgart? Schmälern eine gemeinsame Sprache, gemeinsame Feiertage und mehr als 9000 Kilometer geografische Distanz die empfundene? Für Pei Fen Chiang-Mayer ändere sich nichts, sagt sie: „Nur weil eine aus China kommt und eine aus Taiwan, heißt das nicht, dass es eine Community gibt.“ Ihre Vorfahren kämen alle aus China, sagt Karen Chen: „Aber man kann auch nicht sagen, die Amerikaner sind Europäer. Taiwan ist Taiwan. China ist China.“ Und das, sagt sie, gelte für sie auch in Stuttgart.

Chinesische Vereine in Stuttgart

Mehr als Sprachschule
Der Verein Chinesische Schule Stuttgart ist laut Pei Fen Chiang-Mayer vor allem Plattform für Eltern mit Schulkindern. Hier lernen aber auch Erwachsene, die sich für chinesische Sprache und Kultur interessieren. Es gehe den Frauen auch darum, sich mit Menschen ohne Bezug zu Taiwan oder China an der Schule auszutauschen und ihnen ihre Kultur vorzustellen. Daneben gibt es weitere chinesische Sprachschulen in Stuttgart. Eine davon hat ihren Sitz ebenfalls in Feuerbach. Die Schule reagierte nicht auf eine Gesprächsanfrage.

Vereine für Studierende und Frauen
Studierende können studentischen Gruppen beitreten, sagt Pei-Mei Lee. Zum Beispiel dem Taiwanesischen Studentenverein Stuttgart oder dem Verein der chinesischen Wissenschaftler und Studierenden Stuttgart. Auch ein Deutsch-Chinesisches Forum Stuttgart gibt es, das sich laut Website für den deutsch-chinesischen Austausch einsetze. Auch diese drei Vereine reagierten nicht auf Anfragen. Besonders für Frauen, die neu in Stuttgart ankämen, sei der Chinesische Frauenverein in Stuttgart eine Anlaufstelle, sagt Chin-Chih Fang.