Der Stuttgarter Autohersteller wechselt die Strategie und wird zum Ladesäulen-Anbieter: „Wir wollen nicht zusehen und abwarten“, sagt Mercedes-Benz-Chef Ola Källenius. Wann ist der Start in Deutschland?
Mercedes-Benz will den Umstieg auf Elektroautos beschleunigen und baut in den kommenden Jahren ein eigenes Netzwerk von Schnellladesäulen auf. Die ersten Ladestationen sollen dieses Jahr in den USA und Kanada entstehen, Europa, China und andere Kernmärkte des Stuttgarter Autoherstellers sollen folgen.
Geplant ist, bis Ende des Jahrzehnts weltweit mehr als 10 000 Ladepunkte zu installieren. Allein in Nordamerika investiert Mercedes rund eine halbe Milliarde Euro, wie das Unternehmen bei der Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas mitteilte. Das gesamte Unterfangen wird auf grob vier Milliarden taxiert, wovon Mercedes etwa die Hälfte trägt.
Mercedes folgt damit der Strategie des US-Elektroauto-Vorreiters Tesla, der bereits 2012 mit dem Aufbau eigener Ladestationen begonnen hatte. Mittlerweile gibt es weltweit rund 40 000 Anschlüsse der sogenannten Tesla-Supercharger, vor allem entlang von Hauptverkehrsachsen. Mercedes hatte sich hingegen seit 2017 im Gemeinschaftsunternehmen Ionity engagiert, an dem unter anderem auch die Konkurrenten BMW, Ford, Volkswagen und der Finanzinvestor Blackrock beteiligt sind. Die Aktivitäten bei Ionity blieben von der Entscheidung für ein eigenes Netzwerk unberührt, betont Mercedes-Chef Ola Källenius. In Deutschland gibt es bisher knapp 500 Ionity-Schnellladesäulen.
Mercedes-Chef Källenius verspricht ein „überzeugendes Ladeerlebnis“
Mercedes-Benz verfolgt eine ehrgeizige Elektrostrategie: Bis 2030 will das Unternehmen seine Autos komplett auf batterieelektrische Antriebe umstellen. Der immer wieder betonte Vorbehalt, dies gelte nur dort, „wo es die Marktbedingungen erlauben“, betrifft unter anderem die noch mangelnde Ladeinfrastruktur in vielen Ländern. Verschiedene Hersteller und auch der Verband der Deutschen Autoindustrie (VDA) beklagen seit langem, es würden zu wenig Ladestationen gebaut, um den klimapolitischen Zielen der Antriebswende zu genügen.
„Unsere Kundinnen und Kunden verdienen ein überzeugendes Ladeerlebnis, das den Besitz eines Elektrofahrzeugs und Langstreckenfahrten unkompliziert macht“, sagt Källenius. „Wir wollen nicht zusehen und abwarten, bis es gebaut ist. Daher errichten wir selbst ein globales Schnellladenetzwerk.“
Mercedes-Fahrer können die Ladesäulen vorab reservieren
Profitieren sollen davon vor allem, aber nicht nur, Mercedes-Fahrer. Sie können sich die Ladepunkte vom Auto aus im Voraus reservieren, bei der Routenplanung unterstützt von der Software des Wagens, die auch die Topografie der Strecke und Wetterdaten berücksichtigt. Beides hat Einfluss auf die Reichweite. Die Abrechnung des Ladevorgangs kann ohne Bezahlkarte oder Smartphone-App erfolgen, da Ladesäule und Software über das Ladekabel maschinell kommunizieren. Aber auch die Elektroautos aller anderen Hersteller können die Ladesäulen nutzen, wie Mercedes ankündigt.
Die Ladeleistung soll bei bis zu 350 Kilowatt liegen, ist aber abhängig von der Ladeleistung des Fahrzeugs. Der Strom wird nach Auskunft von Mercedes aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Wo dies nicht möglich ist, soll die CO2-Bilanz durch entsprechende Klimazertifikate ausgeglichen werden.
Wie der Autohersteller betonte, sollen die Ladestationen baulich einem gehobenen „Mercedes-Benz-Stil“ entsprechen. Rund um die Säulen soll so viel Platz sein, dass Autos von beiden Seiten geladen werden können. Wo machbar, sollen mit Solarpaneelen bestückte Überdachungen vor Regen schützen. Der Photovoltaikstrom soll dabei für die Beleuchtung der Anlage und Sicherheitskameras genutzt werden. Außerdem will Mercedes gewährleisten, dass gastronomische Betriebe und Sanitärräume in der Nähe sind – und dabei mit lokalen Partnern zusammenarbeiten.
Ein amerikanischer Partner trägt die Hälfte der Investitionen
Die Suche nach geeigneten Standorten in den USA und Kanada wird vom Spezialisten Chargepoint in Campbell/Kalifornien unterstützt, an dem Mercedes beteiligt ist. Als zweiter Hauptinvestor ist MN8 Energy an Bord, ein Unternehmen, das aus der Investmentbank Goldman Sachs hervorgegangen ist und zu den größten Betreibern von Solaranlagen und Batteriespeichern in den USA gehört. Die allein für das 2500 Ladepunkte umfassende Netzwerk in Nordamerika in diesem Jahrzehnt nötige Investition von mehr als einer Milliarde Euro tragen Mercedes-Benz und MN8 je zur Hälfte. Subventionen der US-Regierung könnten die Summe noch senken, das Geschäftsmodell aber beruhe nicht darauf, betont Källenius.
Neben dem Motiv, die Elektromobilität zu fördern, steckt hinter dem Projekt auch der Wille, am wachsenden Geschäft mit Ladestrom teilzuhaben. „Die globale Reichweite und die erstklassigen Standorte des Ladenetzwerks“ könnten zu einem eigenständigen Vermögenswert werden und zusätzlichen Wert für die Aktionäre schaffen, so das Unternehmen. Wann die ersten Mercedes-Ladesäulen in Europa errichtet werden, bleibt vorerst offen. Man sei in Gesprächen mit potenziellen Partnern, könne aber noch keinen Zeitplan nennen, heißt es. In Deutschland ist bisher der Karlsruher Energieversorger EnBW der Spitzenreiter im Markt – mit momentan rund 800 Schnellladestationen. Per Website sucht das Unternehmen derzeit weitere geeignete Standorte.
Mercedes-Benz und die Ladesäulen
Ionity
Bisher verfügt der Stuttgarter Autohersteller über kein eigenes Netzwerk von Mercedes-Ladesäulen. Als Teilhaber des Gemeinschaftsunternehmens Ionity, an dem auch andere Hersteller beteiligt sind, das Unternehmen jedoch seit 2017 am Aufbau eines Schnellladenetzes in Europa mitgewirkt. Mercedes Me Charge
Über eine Roaming-Kooperation mit vielen Ladesäulen-Anbietern haben Mercedes-Kunden über die App „Mercedes Me Charge“ bisher Zugang zu weltweit rund einer Million Ladepunkten.