Stuttgarts elektronische Tüftler Annagemina schwören auf Klanglandschaften, Spätis und lange Spaziergänge. Ein wenig Melancholie kann auch nicht schaden. Wir haben die beiden zum Interview getroffen.

Stuttgart - Winter 2008 an den Wagenhallen. Galao-Herz Reiner Bocka veranstaltet mal wieder seinen Silent Friday im qiuetschfidelen Subkultur-Biotop. Auf der Bühne steht an diesem Abend auch Anna Illenberger, gegen halb zehn beginnt sie ihr allererstes Solokonzert überhaupt. „Es ist bis heute auch mein einziges geblieben, weil so ziemlich alles schief ging, was schief gehen konnte“, lacht sie heute, mit dem heilsamen Abstand vieler Jahre. „Die Lieder funktionierten zwar“, fährt sie fort, „die Technik aber eher weniger. Zwischen den Stücken war teilweise fünf Minuten Pause.“ Gut, könnte manch ein Optimist jetzt sagen, das passt natürlich irgendwie ganz gut zum Namen der Veranstaltungsreihe. Im Sinne der Erfinderin war es aber sicherlich nicht. Sie schüttelt den Kopf. „Das war alles eher skurril, und meine Aufregung half auch nicht gerade dabei.“

 

An diesem Abend war auch Michael Fiedler im Publikum, nach der Show geht er auf Anna zu. „Er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, mal was mit ihm zusammen zu produzieren. Ich schickte ihm ein paar Demos, er bastelte was dazu – und es funktionierte auf Anhieb! Er füllte die Lücke, die ich nicht selbst füllen konnte.“ Annagemina waren geboren. Und letztlich wurde aus einem eigentlich gescheiterten Konzert also doch noch der Beginn von etwas Besonderem.

Stuttgarts Wälder

Über acht Jahre sind vergangen. Die Wagenhallen werden saniert und sind danach vielleicht nicht mehr dasselbe, Annagemina gibt es immer noch. Sie spielten große und kleine Konzerte in Stuttgart und weit weg, sie veröffentlichten Alben, sie schrieben Musik fürs Theater, sie werkelten in aller Ruhe vor sich hin. Ganz der elektronischen Tüftelei verschrieben, der Grauzone zwischen sperriger Avantgarde und umschmeichelnder Elektro-Pop-Melancholie, hat sich das Duo mittlerweile einen ureigenen Soundkosmos erschlossen. Der wird nie im Formatradio laufen. Und birgt doch eine kühne Faszination, eine schillernde Süße.

„New Darkness“, das neue Album. Macht da keine Ausnahme, gibt sich distanziert unterkühlt, elektronisch, fordernd, verträumt. Entstanden ist es in den letzten zwei Jahren in den Köpfen von Anna Illenberger und Michael Fiedler, zusammengeführt wurde es dann alles in seinem Homestudio in Kornwestheim, dem Epizentrum ihrer künstlerischen Genese. „Michael hat sich ein Studio in seiner Wohnung eingerichtet, das erlaubt es uns, nach Lust und Laune kreativ zu sein.

Einen festen Wochentag haben sie sich und ihrer gemeinsamen Arbeit verschrieben, in der übrigen Zeit darf die Kreativität frei mäandern. „Ich muss raus in die Natur“, sagt Anna auf die Frage, wann und wo sie die Muse küsst. „Ganz oft kommen mir Ideen, wenn ich durch die Wälder im Stuttgarter Osten spaziere. Ich habe einen Hund, also bin ich sehr regelmäßig draußen und bahne mir immer neue Abenteuerwege quer durch den Wald oder übers Feld.“ Wieder zuhause, schließt sie sich ein und brütet neue Ideen aus. Stimmungen, vor allem sind es Stimmungen, die sie mit Annagemina konservieren will. Ein klar strukturierter Popsong mit Strophe, Refrain und so weiter wäre da eher hinderlich. „Das würde die gewünschte Stimmung nur kaputt machen“, meint Anna achselzuckend.

Eine gewisse Menge Egalheit

Es sei ja nicht so, dass man auf Teufel komm' raus gegen den Mainstream sei und deswegen so experimentell zu Werke gehe, betont Michael. „Wir machen eben einfach nur das, wobei wir uns wohlfühlen. Eine gewisse Egalheit“, sagt er mit einem Grinsen, „ist bei uns also definitiv vorhanden.“ Popmusik lebt eben von ihrer Einfachheit. Von ihrer Nachvollziehbarkeit und von ihrem Talent, sich sofort ins Ohr zu brennen. Das macht den Erfolg auf einer möglichst breit angelegten Basis möglich, geht aber zu Lasten von Anspruch, Tiefgang und Besonderheit. Bei Querdenkern wie Björk hat es aller Avantgarde zum Trotz mit dem Erfolg geklappt, auch Annagemina würden sich nicht dagegen wehren, wenn ihr sphärisch fließender Sound eines Tages en vogue wird. „Und wenn nicht, dann eben nicht“, so Michael salopp.

Besonders passend war angesichts dieser Arbeitsweise da natürlich die Anfrage der Regisseurin Mascha Zilinski von der Filmakademie Ludwigsburg, ob Annagemina nicht die Filmmusik zu „Die Tochter“ schreiben möchten. Und ein Soundtrack, das ist letztendlich ja auch nichts anderes als die Vertonung gewisser visueller Stimmungen. „Absolut, das kam unserer Arbeitsweise sehr entgegen“, nickt Anna. Diese Arbeitsweise beschreiben die beiden als „ziemlich unkonventionell“, als „kleines gesundes Durcheinander.“ Durchaus ein Spiegel ihrer Persönlichkeit also – und als Resultat nun sogar auf der Berlinale zu sehen.

Wann Annagemina mal wieder in Stuttgart zu sehen sind, ist derzeit noch nicht sicher. Was natürlich nicht heißt, dass man das Künstlerduo hin und wieder an einem ihrer Lieblingsplätze antreffen kann. „Wir lieben das Corner 17 im Leonhardsviertel“, platzt es aus Anna heraus. Durchaus eine ungewöhnliche Wahl. „Aber eben einer der wenigen Spätis in Stuttgart! Da holen wir uns mal ein Bier oder einen Kaugummi, haben uns sogar schon“, lacht sie, „gezielt und ganz offiziell dort getroffen.“ Gut, irgendwo müssen die Ideen für gewisse Stimmungen schließlich herkommen...