Seit 20 Jahren pflegen Itchy ein süffiges Gebräu aus Punk, Rock und Pop gegen rechts und für Toleranz. Ihr Album „Ja als ob“ bringen sie nun auf ihrem eigenen Label heraus – so wie etliche andere Stuttgarter Bands.

Stuttgart - Das Bild der Plattenbosse war in den 70ern und 80ern eine Karikatur: Fette, reiche, weiße, alte Anzugträger, die sich Zigarren an Geldscheinen anzünden und sich nur um das Seelenleben ihrer Künstler scheren, solange die an der Front brav weiter die Millionen scheffeln. Vielleicht also gar nicht schlecht, dass das neue Jahrtausend mit seinen digitalen Möglichkeiten die verkrusteten Hierarchien der patriarchalen Musikindustrie mitleidslos pulverisierte. Die Folge: Mehr und mehr Künstler sagten sich von den Verträgen und Zwängen eines klassischen Plattendeals los, um sich fortan um sich ihre eigenen Belange zu kümmern. Nun redet niemand mehr rein und verdient mit – aber die Musiker haben mehr Arbeit und finanzielles Risiko.

 

Für Itchy überwiegen die Vorteile. Das unverwüstliche Punkrocktrio aus Stuttgart und Eislingen ackert sich seit 20 Jahren durch einen süffigen Punk-Alternative-Pop-Mix, hat fast 1000 Konzerte gespielt, sieben Platten veröffentlicht sowie ein extrem launiges Buch über die Aufs und vielen Abs dieses hedonistischen Lebensstils.

Ein tolles Freiheitsgefühl

Nun folgt das Album „Ja als ob“, das erste auf Deutsch. Es erscheint auf ihrem eigenen Label Findaway Records. „Wir haben schon 2012 eine Platte auf unserem eigenen Label herausgebracht“, sagt der Sänger und – je nach Bedarf – Gitarrist und Bassist Daniel Friedl. „Damals hatten wir die Schnauze voll von all dem Stress mit Plattenfirmen und haben es einfach mal selbst gemacht.“ Er grinst: „Ohne den Hauch einer Ahnung.“

An der Wand in seinem Wohnzimmer im Stuttgarter Westen hängen Fotos aus seiner musikalischen Vergangenheit. Seit 20 Jahren ist Friedl in der Band, mehr als sein halbes Leben. Itchy ist für ihn Brotberuf und größte Leidenschaft. Die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, war schon damals eine Art Schutzreaktion. „Und natürlich sind uns 100 000 Fehler passiert, aber wir hatten zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder ein totales Freiheitsgefühl“, sagt Friedl.

Das erfordert Disziplin, ökonomisches Denken, Verantwortung – also nicht unbedingt das, so viel Vorurteil sei erlaubt, was man mit Punk-Bands in Verbindung bringen würde. Friedl kontert gelassen: „Vor allem sind wir alle zunächst mal Schwaben“, sagt er. „Bei uns wird kein Cent ausgegeben, der nicht fünfmal umgedreht wurde. Wir leben alle von der Musik, da ist es schon nicht ganz unwichtig, dass man mit einem Album auch mal zwei Euro verdient.“

Sich treu geblieben

Besonders angenehm sei, dass ihnen niemand mehr reinreden kann. Wer weiß, ob Itchy sonst überhaupt ein deutschsprachiges Album veröffentlichen würden. Dass sie es tun, zeugt von Mut, aber auch von dem Willen, nicht einfach immer weiterzumachen wie bisher. An der Grundhaltung – Kurzfassung: für eine offene und bunte Gesellschaft, in der alle außer Nazis einen Platz haben – hat sich bei den Dreien nichts geändert. „Punk hat mir als Teenager dabei geholfen, herauszufinden, wer ich bin und welchen Dingen ich mich in den Weg stellen will“, sagt Friedl. „Das ist bis heute geblieben.“ Punk muss eben nicht immer mit Dosenstechen oder Straßenschlachten in Connewitz zu tun haben. Punk beginnt manchmal auch morgens um acht bei einem Kaffee in einer Wohnung im Stuttgarter Westen.

Dort sind auch Eau Rouge zuhause. Die verlassen sich bei der Verbreitung ihres rauschhaft oszillierenden Indie-Pops derzeit auch ganz auf sich selbst. „Klar ist das viel Arbeit“, sagt Sänger Jonas Teryuco. „Aber so lange keiner kommt, der es wirklich besser macht, lohnt es sich.“ Das Problem mit den Plattenfirmen äußert sich aus seiner Sicht wie folgt: „Die meisten Labels sind entweder zu groß oder zu klein. Bei den großen spielt man meistens keine Rolle und die kleinen haben oftmals gar kein so viel besseres Netzwerk als die Band selbst.“

Keine Rechenschaft – außer beim Finanzamt

Bei einem zu großen Label war auch schon Stuttgarts unbeirrt durstiger Punk-Haufen Schmutzki zuhause. Erst wurden sie von Four Music/Sony unter Vertrag genommen und irgendwann fallengelassen. Schmutzki zogen die Konsequenz und starteten mit ihrem eigenen Label durch. Keine schwere Entscheidung, meint Bassist Dany Horowitz: „Die Frage war eher, ob wir die Musik hauptberuflich weiter machen wollten. Als wir das bejahen konnten, fiel der Schritt, etwas Eigenes zu machen, relativ leicht. Wir haben schon immer große Teile des gesamten Bandkosmos selbst organisiert, also kamen lediglich ein paar neue Dinge hinzu.“ Trotz des höheren finanziellen Risikos ist er guter Dinge: „Wir sind selbstständig und müssen niemandem mehr Rechenschaft ablegen. Außer dem Finanzamt.“

Und dann ist da natürlich noch der deutsche Hip-Hop, in dem gefühlt jeder Artist inzwischen sein eigenes Label hat. Der Rapper Marz, Teil des von Rapper Sickless gegründeten Labelkollektivs wirscheissengold, nennt die Berufsanforderungen: „Ein langer Atem, eine Vision und Excel.“ Er schätzt die kurzen Wege, die ein eigenes Label mit sich bringt, hat auch nichts dagegen, sich mit wirtschaftlichen Dingen herumzuschlagen. Für ihn ist die Kooperation des eigenen Labels mit einem großen Partner eine reizvolle Angelegenheit – „für den nächsten Schritt in der Entwicklung eines Künstlers oder Labels ist das nicht immer falsch!“

Und mal wieder besonders attraktiv aus Sicht der Major-Labels: Künstler ohne Plattenvertrag generieren mittlerweile mehr als eine Milliarde US-Dollar Umsatz pro Jahr. Da kommen sie dann wieder schnell an, die letzten verbliebenen Plattenbosse mit den Zigarren und den Geldscheinen.

Itchy spielen am 25. April 2020 im LKA/Longhorn.